Verwaiste Seelen

Brustkrebspatientinnen vermissen psychische Unterstützung. Die Ärzte sind kaum geschult und für Psychoonkologen ist in den Kliniken kein Geld da

Schätzungsweise ein Drittel der Krebspatienten erleiden einen Schock

VON KATRIN BURGER

„Ich saß da wie vom Donner gerührt und dachte, der Arzt redet gar nicht mit mir. Ich konnte es nicht fassen, dass es um mich und mein Leben geht“, beschreibt Brigitte Meisinger auf der Patientinnenplattform mamazone.de ihre Gefühle als der Arzt ihr die Diagnose Brustkrebs stellte. Der Befund Brustkrebs trifft jede neunte deutsche Frau – und er trifft besonders hart. Einmal, weil viele mit Krebs ein qualvolles Ende assoziieren. Zum anderen ist der Befall der Brust ein Schock für die Frau, weil es ihre Ganzheit in Frage stellt. Durch Operation und Chemotherapie wird die Weiblichkeit demontiert und das eigene Spiegelbild konfrontiert die Frau täglich mit dieser Realität.

Die Wissenschaft, die sich um die Seele von KrebspatientInnen kümmert, heißt „Psychoonkologie“. Mittels Hypnose, Verhaltenstherapie oder Stressmanagement wollen Psychoonkologen die Lebensqualität von krebskranken Menschen verbessern. Das könnte sogar für den Heilungsprozess mit bestimmend sein: „Nach den Ergebnissen amerikanischer Studien besteht die berechtigte Annahme, dass ein kämpferischer Umgang mit Krebs die Überlebenszeit der Patienten verlängern kann“, sagt Volker Tschuschke, medizinischer Psychologe an der Universität Köln.

Doch derzeit stehen betroffene Frauen mit der psychischen Belastung allein da: Posttraumatische Störungen werden oft nicht erkannt und auch nicht adäquat behandelt, weil Kliniken das Geld fehlt. Auch die Arzt-Patienten-Kommunikation klappt nicht. Weil Ärzte im Studium nicht ausreichend auf das Überbringen von bad news vorbereitet werden.

Erst kürzlich präsentierte Jalid Sehouli, Oberarzt der Berliner Charité, auf dem Deutschen Krebskongress erste Zwischenergebnisse einer Internetumfrage, an der bislang 463 Frauen teilnahmen. Bei der Frage, was bei der Behandlung von Brustkrebs besser werden müsste, wünschten sich 55 Prozent mehr Informationen über alternative Therapien, jede zweite Frau wollte mehr Zeit mit dem Arzt, 39 Prozent bessere Zusammenarbeit zwischen den Ärzten.

Auch das Deutsche Krebsforschungszentrum (DKFZ) belegt die Unzufriedenheit mit Zahlen: 60 Prozent der Brustkrebspatientinnen, die bei der DKFZ-Hotline anriefen, haben nie etwas von psychologischer Betreuung und Selbsthilfegruppen gehört. Die Arzt-Patienten-Kommunikation in der Klinik bezeichnen viele als mangelhaft.

Wie wichtig die Arzt-Patienten-Kommunikation für die Psyche der brustkrebskranken Frau ist, zeigt eine derzeit laufende Studie der Uniklinik Hamburg. Die angehende Ärztin Anja Mehnert hat dort die Patientinnen nach den gravierendsten Belastungen während ihrer stationären Behandlung befragt. Das Ergebnis: Die Arzt-Patienten-Interaktion wurde als drittbelastendste Situation genannt. Zudem weiß man: Informierte und „mündige“ Patienten haben eine höhere Lebensqualität und beteiligen sich aktiver an Entscheidungen. Das Arzt-Patienten-Gespräch ist also ein zentraler Ansatzpunkt, um der Unzufriedenheit von Krebspatientinnen entgegenzuwirken.

Doch kaum ein Arzt kann das. Denn aus dem Medizinstudium bringen Ärzte zwar eine Fülle an Fachwissen mit, aber sie lernen kaum etwas über Gesprächsführung. Vor allem junge Ärzte fühlen sich dann oft überfordert, wenn sie Krebsdiagnosen stellen müssen. Bei einem Seminar am Rande des Krebskongresses sprachen Onkologen über ihre Ängste. Sie fragten, wie ehrlich man als Arzt sein darf, wenn es beispielsweise keine Hoffnung mehr gibt; oder wie man ein Gespräch beginnt, wie viel Nähe einem Patienten gut tut und wie man mit aggressiven Angehörigen umgeht.

„Wichtig ist während des ganzen Gesprächs auf die Signale des Patienten zu achten“, rät Monika Keller, Supervisorin aus Heidelberg. „Schaut der Patient weg oder verschränkt er die Arme, befindet er sich auf der emotionalen Ebene. Dann darf man ihn nicht mit fachlichen Informationen zuknallen oder versuchen zu trösten, sondern man muss Fragen stellen. Etwa: Was bedeutet diese Diagnose für Sie? Wie fühlen Sie sich gerade?“

Auch Sehouli kennt aus der täglichen Praxis mit Brustkrebspatientinnen die große Wirkung einfacher Verhaltensregeln: „Es ist gut, die Informationen in Etappen an die Frau herantragen. Idealerweise sollte eine zweite Person dabei sein, die das Gesagte besser aufnehmen kann. Gut ist auch einmal nachzufragen, was die Patientin von dem Gesagten verstanden hat, denn die Patientin befindet sich nach der Diagnose in einem Schockzustand, in dem sie das Gefühl für Zeit und Raum verliert.“

Sehouli fordert die Arzt-Patienten-Kommunikation als Studienfach, so wie es das bereits seit drei Jahren in Berlin gibt. In einem Reformstudiengang lernen dort angehende Mediziner einmal pro Woche, wie man ein gutes Gespräch führt. Normalerweise muss ein Arzt für psychologische Fortbildungen oder Schulungen die Kosten selbst tragen.

Sehouli glaubt, dass auch das Gesundheitssystem für die mangelhafte Arzt-Patienten-Kommunikation verantwortlich ist. Der Mehraufwand, den ein gutes Gespräch bedeutet, wird überhaupt nicht honoriert.

Neben der mangelhaften Gesprächsführung gibt es ein weiteres Problem: Schätzungsweise ein Drittel der Krebspatienten erleidet nach der Diagnose einen Schock und entwickeln eine posttraumatische Belastungsstörung. Doch es existiert in Deutschland kein einheitliches Verfahren mit dem der behandelnde Arzt diese Risikopatienten erkennen könnte. Darauf wies kürzlich die Deutsche Krebshilfe hin und sagte der Technischen Universität München 200.000 Euro für ein entsprechendes Screeningverfahren zu, das psychische Störungen Krebskranker aufdecken hilft.

Doch wenn das Trauma erkannt wurde, was dann? Psychologen auf der Krankenhausstation, die Depressionen und Traumata von Krebspatienten lindern könnten, fehlen nämlich. Der Grund: Geldknappheit. „Jeder weiß, dass die Krankenhäuser ums Überleben kämpfen. Und so stellt man natürlich lieber einen Arzt für den Kreißsaal oder die Radiologie ein anstatt einen Psychoonkologen“, sagt Martin Wickert, Psychologe am Tumorzentrum Tübingen. Vor allem in kleineren Städten oder auf dem Land fehle es deshalb an Angeboten.

Wie notwendig Psychotherapie für Krebskranke jedoch tatsächlich ist, darüber sind sich aber auch die Experten noch uneinig. Sehouli weiß: „Viele suchen die Unterstützung beim behandelnden Arzt, nicht beim Psychologen.“ Diese Erfahrung teilt Martin Wickert nicht. „Wir haben sehr viele Anfragen. Gerade Frauen sind doch zugänglicher für Psychotherapie als Männer.“ Auch Tschuschke glaubt: „Der Arzt genießt zwar immer noch das größte Vertrauen und deswegen verlangt man von ihm fachkompetent und zugleich einfühlsam zu sein. Aber wenn die Psychologie stärker mit der Behandlung der Krebspatienten verzahnt ist, dann verlagert sich das Vertrauen.“

Die gute Zusammenarbeit von Psychologen und Ärzten ist derweil noch Zukunftsmusik. „Bislang hält man nicht viel voneinander. Ärzte und Psychologen sind sich spinnefeind“, so Monika Wiemer, Chefärztin der onkologischen Rehaklinik in Lehmrade bei Hamburg. „Weil Ärzte unter sehr hohem Druck stehen, wehren sie sich gegen jemanden, der von außen kommt und ihnen reinreden will. Diese Abwehr kann man nur schwer ändern.“