Kaleidoskopisch

Heute und morgen präsentiert das Doppelprogramm „Sonic Weave“ sechs ausgewählte Künstler und Bands in der Fabrik – eine Momentaufnahme der kanadischen Folk- und World-Music-Szene

von MATTHIAS SEEBERG

Kaum einer Musikrichtung haftet das Klischee mangelnder Coolness und langweiligen Perfektionismus stärker an als der so genannten World Music. Denen, die sie partout nicht ausstehen können, gilt allein die Bezeichnung als Synonym für ein beliebiges Crossover möglichst exotischer Klänge und Rhythmen, in denen sich nicht zuletzt eine Sehnsucht nach Authentizität manifestiert. Ihre Liebhaber hingegen begreifen „Weltmusik“ als faszinierendes Refugium jenseits des Mainstreams, in dem sich die Vorstellung einer Eine-Welt-Kultur sogar tanzbar machen lässt.

Unter dem Titel Sonic Weave – Exploring the Textures of Canadian Music wird in diesen Tagen vom Canada Council for the Arts sowohl den Skeptikern als auch den Aficionados der World Music eine Momentaufnahme der zeitgenössischen kanadischen Musikszene geboten, die den genannten Klischees einige erfreuliche Alternativen entgegensetzt.

Unter 300 Kandidaten wurden in verschiedenen nationalen Wettbewerben die sechs besten Künstler und Bands ausgewählt und in Zusammenarbeit mit einigen europäischen Weltmusik- und Jazz-Festivals zu einer Tournee quer durch den alten Kontinent geschickt. Wer unter den vertretenen Musikern den Singer und Songwriter Stephen Fearing oder die mancherorts nicht weniger bekannten Franko-Kanadier Les Barchois vermutet, wird diese allerdings vergebens suchen.

Was aber kein Grund zur Enttäuschung sein sollte, denn die heute und morgen in der Fabrik stattfindenden Konzerte vereinen ein beachtliches Kaleidoskop aus elektronischer Avantgarde genauso wie afrikanisch gefärbter Roots Music oder modernen Variationen speziell kanadischer Provenienz.

Den Auftakt bildet das Duo Zubot and Dawson, das mit einer eleganten Mischung aus Bluegrass, Country und Rockmusik aufwartet, wie sie längst in nahezu jeder Ecke der Welt ihre Anhängerschaft gefunden hat. Bei ihren dezenten Anleihen aus dem Repertoire des swingenden Jazz wäre es nicht verwunderlich, wenn die beiden ihr nächstes Album mit dem (ehemals) experimentellen Wohlklang-Gitarristen Bill Frisell aufnehmen würden.

Tasa nennt sich ein fünfköpfiges Ensemble, in dessen überbordenden Klangteppichen die vielfältigen Traditionen der indischen Raga und Tala auf afrikanische, griechische und brasilianische Einflüsse treffen. Mit diesem Overkill an Zitaten und Referenzen und einem Hang zur perfekten Fusion erzeugen sie allerdings einen gelegentlich eintönigen Sound, dem ein bisschen mehr Soul auch entsprechend mehr Lebendigkeit verpassen würde. Eine willkommene Abwechslung liefern dagegen Les Batinses, deren canadian funk in Form von Balladen und energiegeladenen Reels und Polkas die für das Quèbec des 19. Jahrhunderts typische Musik in einem modernen Kontext wieder aufleben lässt.

Mehr als nur ein wenig sonderbar unter diesen Konservatoren althergebrachter Stile und Instrumentierungen erscheint das Mitwirken von Turntable-Zauberer Eric San alias Kid Koala. Seine auf dem britischen Label Ninja Tune erschienenen Kompositionen, die vor allem aus Scratches und eigenwilligen Mad Mixes bestehen, haben ihm nicht nur von der Kritik den Nimbus experimenteller Virtuosität eingebracht. Seine weniger von musikalischen Wurzeln als von den Geräuschen urbaner Zentren inspirierten Soundcollagen finden während dieses Festivals eine Ergänzung in dem von DJ Michel Deveau elektronisch untermalten inuit throat singing von Tanya Tagaq Gillis.

Denn der eindrucksvolle, in clubtaugliche Beats eingebetteter Kehlgesang der im hohen Norden Geborenen hat das Zeug dazu, die Verächter jeder Weltmusik von deren Innovationsfähigkeit und -freude zu überzeugen – und die Freunde dieser Stilrichtung von ihrem Konservatismus zu befreien.

Zubot and Dawson, Tasa, Les Batinses: heute; Kid Koala, Alpha Yaya Diallo, Tanya Tagaq Gillis und Michel Deveau: morgen, jeweils 21 Uhr, Fabrik.weitere Informationen unter www.sonicweave.ca