Die Tücken des Mehrwegs

In der Ära des Dosenpfandes klagen Getränkekonzerne, dass Mehrwegkästen und Glasflaschen knapp werden. Ein Grund: Die Berliner sammeln mehrere leere Kisten, bevor sie sie zurückgeben

„Wir können die Produktion nicht so hochfahren, wie wir gerne möchten“

von SIMONE ROSSKAMP

Zunächst einmal ist da der optische Effekt: Bei den 100.000 Tonnen Straßenkehricht, die in jedem Jahr anfallen, werden Ende diesen Jahres wohl weitaus weniger Blechdosen dabei sein. Wie viel weniger genau, das lässt sich allerdings kaum bemessen, so Sabine Thümler, Sprecherin der Berliner Stadtreinigungsbetriebe. Der restliche Müll tue ja auch seine verheerende Wirkung – Zigarettenkippen, Plastik, Hundehaufen. Immerhin: Die Pfandpflicht zeigt erste Folgen.

Viele Getränkehersteller haben sofort reagiert, als klar wurde, dass der Kunde mitzieht und zukünftig fast völlig auf das Mehrwegsystem setzt. Die Berliner Kindl-Brauerei etwa hat ihre Dosenproduktion gleich um 50 Prozent im Vergleich zu 2002 reduziert: „Die Nachfrage nach Einwegprodukten fiel natürlich sprunghaft“, erzählt Sprecher Dirk Streich.

Eigentlich ein positiver Effekt. Doch noch hat der Einzelhandel mit den Tücken des Mehrwegobjekts zu kämpfen. Die Anfrage nach der umweltfreundlichen wiederverwendbaren Flasche ist so groß, dass die meisten Hersteller einfach nicht mehr nachkommen. Ein internationaler Konzern hat schon Anzeigen geschaltet, die die Kunden dazu aufrufen, ihr Leergut möglichst schnell in den Handel zurückzubringen.

Auch Reiner Stock hat schon von diesem Problem gehört. Von montags bis freitags sitzt der wissenschaftliche Mitarbeiter an der Hotline der Industrie- und Handelskammer Berlin, um verunsicherten Händlern Tipps zum Thema Pfandumstellung zu geben. „Mittlerweile“, so weiß er, „verkaufen manche Hersteller schon 80 Prozent aller Getränke in Mehrwegverpackungen.“ Stock weiß um eine Art Hamster-Mentalität in Privathaushalten: Die Menschen neigten dazu, die Kästen im Keller zu horten, bis sie mehrere zusammen hätten, sagt er. „Das ist nur einer der Seiteneffekte des neuen Systems.“ Aber die Hersteller selbst gehen offensiv mit dem Leergutproblem um. Schließlich zeige es bloß, wie beliebt ihre Mehrwegprodukte seien. So beliebt, „dass wir teils gar nicht mehr nachkommen“, sagt Matthias Gersonde, Sprecher des Mineralwasser-Herstellers Spreequell. „Wir haben einfach nichts mehr zum Abfüllen“, gesteht er. So schlimm sei der Zustand zwar nicht, dass die Produktion drei Tage lang stillgelegt werden müsse, aber: „Wir können die Produktion auch nicht so hochfahren, wie wir gerne möchten.“

Wie viele Kästen und Flaschen genau im Umlauf sind, dazu gibt es keine Zahlen. Aber: Um die Versorgungsengpässe zu beseitigen, schiebt die Logistik inzwischen Sonderschichten. Mitarbeiter fahren die Händler ab, um Kästen und leere Flaschen einzusammeln. Auch die Berliner Kindl-Brauerei wählt den Weg über den Großhändler: „Wir halten unsere Händler schon zur Eile an“, erzählt Kindl-Sprecher Streich, „und natürlich dazu, die Lastwagen auch wirklich bis auf den letzten Platz voll zu machen.“ Vor allem bei den 0,33-Liter-Flaschen habe man derzeit einen kleinen Lieferengpass, gesteht Streich. Vielleicht sind die Flaschen einfach zu klein – kann man sie gar besonders gut im Keller horten, ohne dass sie einem auf die Nerven fallen?

Der Bierhersteller jedenfalls geht von einem guten Zuwachs im Jahr 2003 aus. „Wir haben uns rechtzeitig auf die Marktänderung eingestellt“, bilanziert auch Spreequell-Sprecher Gersonde. Er glaubt, dass die leichte PET-Kunststoff-Flasche ohnehin bald das Glas vom Markt verdrängen wird. Wie auch immer: Das Leergutproblem wird sich erst lösen, wenn entweder die Verbraucher umdenken oder die Hersteller zusätzliche Flaschen und Kästen anschaffen. Und auch andere Verwerfungen hat die Umstellung auf das Pfandsystem inzwischen mit sich gebracht: Lekkerland-Tobacco, ein Zulieferer für Tankstellen und Kiosk-Betriebe, „musste ein Zehntel seiner Angestellen entlassen“, weiß Reiner Stock von der IHK. Die Mitarbeiterzahl schrumpfte von 5.000 Anfang des Jahres auf nun 4.500 bundesweit. Grund: Die Kunden sind verunsichert und halten sich bei der Bestellung von neuer Ware zurück. Wo die Logistik der Mehrwegbetreiber also Sonderschichten fährt, können die, die überwiegend auf Einweg setzen, gleich zu Hause bleiben.