ein amerikaner in berlin
: ARNO HOLSCHUH über Sportstudios

Arbeiten an der Maschine

In Amerika sind die meisten Leute sehr gestresst. Sie müssen fortdauernd Kaffee trinken, um ihre 45-Stunden-Wochen zu bewältigen und damit sie die Raten für den neuen Geländewagen bezahlen können. Dann müssen sie noch ihre kostbare Zeit damit vergeuden, an der Tankstelle rumzustehen, während sie diese Wagen mit Benzin füllen, damit sie wieder zur Arbeit fahren können. Das ist nämlich der eigentliche Sinn dieser Machismowagen: Man muss ein Automobil besitzen, das einen durch Schnee, Sturm und wahrscheinlich auch einen mittelmäßigen Bürgerkrieg zur Arbeit bringt. Sonst läuft man Gefahr, die Arbeit, den Kaffee, den Wagen, das Geld und damit den amerikanischen Traum zu verlieren.

Deshalb ist für uns Sport sehr wichtig. Er bricht den Teufelskreis von Tanken und Arbeiten und ist unser großes Entspannungsritual. Entweder nimmt man selbst teil, oder man schaut im Fernseher zu, wie weitaus talentiertere Leute es machen. Auf keinen Fall denkt man dabei an Arbeit, denn Sport ist eine heilige Flucht aus dem Arbeitsleben. Hier darf man all das machen, was man im Büro, Fabrik oder Restaurantküchen nicht machen darf: Sachen werfen, rumlaufen, öffentlich schwitzen.

Ich bin in diesem Sinne ganz Ami: Ich liebe Sport. Leider ist meine ausgewählte Sportart – Bergwandern – in Berlin so gut wie unmöglich. Einen Eispickel auf den Prenzlauer Berg zu tragen oder am Gipfel ein Zelt aufzubauen – das würde wahrscheinlich von der Polizei als Anlass für eine Nacht in der Ausnüchterungszelle betrachtet werden. Also habe ich mich den Berliner Verhältnissen angepasst und bin Mitglied in einem Sportstudio geworden.

Ich trainiere mit so viel lässiger Unbesorgtheit wie möglich, was aber ständig dadurch vermiest wird, dass die Berliner irgendwie Sport mit Arbeit zu verwechseln scheinen. Das bekomme ich gleich beim ersten Mal mit: Ich darf nicht alleine die Maschinen bedienen. Stattdessen muss ich von einer netten jungen Frau ausgebildet werden. Sie zeigt mir, wie ich den höchsten Muskelanbau- bzw. Schmerzeffekt erzielen kann: Ich soll die Gelenke so lang wie möglich in irgendwelchen unglaublichen Stellungen halten. Dabei ruft sie mir ermutigende Sprüche zu wie „Du kannst es schaffen“ oder „Lass nicht locker, du Schlappschwanz!“

Ich finde das schon alles ein bisschen stressig. Das Schlimmste aber kommt noch. Auf dem Weg vom Beinstrecker zum Brustmuskelzerrer fragt mich die Trainerin, welche Ziele ich hätte. „Ziele? Na ja, ich will irgendwann eine Wohnung haben, die wie diese Ikea-Wohnungen aussieht“, antwortet ich. „Nein, ich meine hier im Studio – mit deinem Körper?“ „Nöö.“ Sie ist total verdutzt. „Haben denn die meisten Leute Ziele?“, will ich wissen, um die ungemütliche Stille zu brechen. „Ja, schon. Die Jungs wollen große Muskeln, die Frauen wollen abnehmen.“ Ich versichere ihr, dass ich mit meinem Körper bereits zufrieden bin und nur zur Entspannung da sei.

Die Trainerin schaut mich an, als sei ich eine Bockwurst im Veganerrestaurant. Was will ich denn mit Entspannung im Sportstudio? Neugierig über diese neue, unzielstrebige Art von Mensch fragt sie mich schließlich, was ich beruflich mache. „Journalist“, keuche ich aus einem Foltergerät, „Stipendiat der Fulbright-Kommission, gelegentlicher Student und allgemeiner Lebenskünstler.“ Journalist? „Dann willst du wahrscheinlich schnell weg – es gab gerade eine Schießerei in Kreuzberg!“ Jetzt bin ich dran, verdutzt zu gucken. Wieso sollte mich eine Schießerei interessieren? „Das ist doch Sache der Polizei“, sage ich. „Willst du keinen Bericht darüber schreiben?“ – „Nein. Ich bin kein solcher Journalist. Ich schreibe hauptsächlich über mein eigenes Leben.“ Damit habe ich bei ihr das letzte Stück Respekt verspielt.

Dafür werde ich jetzt regelmäßig in das Sportstudio gehen und mich so eifrig foltern lassen, als hätte ich, was die Größe meiner Bizepse betrifft, ganz konkrete Ziele. Nicht dass ich einmal einen Türsteherkörper will, vielmehr treibt mich das Heimweh dorthin. Manchmal sehne ich mich einfach nach der guten, alten amerikanischen Hektik, die im Sportstudio eine deutsche Heimat gefunden hat.

ARNO HOLSCHUH, 27, ist amerikanischer Journalist und lebt als Stipendiat für ein Jahr in Berlin