„Die Angst vor Knappheit treibt den Preis hoch“

Es ist genug Öl da, meint Energieexperte Matthies. Eine Erhöhung der Förderquote wäre aktuell nur ein symbolisches Signal für die Märkte

taz: Herr Matthies, viele Autofahrer stehen derzeit an den Tankstellen, ärgern sich über den teuren Benzinpreis und fordern Steuersenkungen.

Klaus Matthies: Wer das fordert, muss auch sagen, wer die entgangenen Einnahmen dann aufbringen soll. Außerdem ist das Preisniveau weniger schlimm, als es aussieht. Vergleicht man die Entwicklung des Benzinpreises zum Beispiel mit der des Stundenlohns, dann hat sich gegenüber den 60ern oder den 70ern nicht viel geändert.

Dennoch: Der Ölpreis ist gerade auf Rekordhöhe.

Dafür gibt es mehrere Gründe. Die weltweite Nachfrage steigt schon seit einem Jahr. Die Wirtschaft in Industrieländern wie in den USA erholt sich. Vor allem aber China braucht mehr Öl als früher. Dort boomt die Industrie, und auch die Zahl der Autos nimmt rapide zu. Daneben ist auch die politische Situation im Nahen Osten ein entscheidender Faktor.

Sie meinen den Irakkrieg?

Die Nachrichten über Unterbrechungen bei den Pipelines im Irak häufen sich. Vor kurzem war eine Leitung im Norden defekt, durch die ein Drittel der irakischen Ölexporte fließen. Und fünf ausländische Ölfachleute sind in Saudi-Arabien bei einem Attentat ums Leben gekommen. Das hat die Sorge um den Ölfluss aus dem Nahen Osten erhöht.

Ist denn die Sorge vor einem Engpass berechtigt?

Aktuell ist genug Öl da. Die Lagerbestände sind zwar niedrig, aber es gibt kein akutes Versorgungsproblem. Es ist die Furcht davor, die die Preise hochtreibt. Und da spielen an den Ölbörsen in London und New York viele Spekulanten mit, etwa die großen Rohstoff-Fonds. Die erwarten, dass der Preis hoch bleibt – und dann bleibt er zunächst auch hoch.

Dann könnten doch die Opec-Minister, die sich an diesem Wochenende treffen, einfach vereinbaren, die Fördermengen zu erhöhen. Der Ölpreis liegt ohnehin weit über dem von der Opec anvisierten Preiskorridor von 22 bis 28 Dollar je Barrel.

Mehr zu fördern, hat Saudi-Arabien zumindest in der vorigen Woche vorgeschlagen. Aber die Opec-Länder fördern zurzeit sowieso schon 2 Millionen Barrel pro Tag mehr, als sie beschlossen haben. Eine Erhöhung der Förderquote um 1,5 Millionen Barrel pro Tag, wie sie offenbar im Gespräch ist, würde faktisch nichts ändern. Es wäre aber ein psychologisches Signal für die Märkte.

Von der täglichen Ölproduktion kommt etwas weniger als die Hälfte aus den Opec-Staaten. Warum erhöhen die anderen Länder außerhalb des Nahen Ostens nicht ihre Produktion, um die Nachfrage zu stillen?

Die fördern schon so viel, wie sie können. Russland plant zwar in diesem Jahr eine Erhöhung der Exporte um 15 Prozent. Um mehr zu fördern, muss aber investiert werden. Es gibt nur noch wenig freie Kapazitäten, die einfach angeworfen werden könnten. Die einzigen Länder mit einem solchen kurzfristig nutzbaren Spielraum sind die Opec-Staaten, vor allem Saudi-Arabien.

Müssen wir uns also dauerhaft auf den höheren Preis einstellen?

Das hängt entscheidend davon ab, wie schnell die Ölförderanlagen ausgebaut werden. Bereits im Herbst könnten die kurzfristig verfügbaren Kapazitäten ausgereizt sein. Der weltweite Ölverbrauch steigt in jedem Fall weiter an.

Was bedeuten höhere Ölpreise für die Konjunktur?

Die Internationale Energieagentur hat in Modellrechnungen ermittelt, dass eine dauerhafte Erhöhung des Ölpreises um 10 Dollar pro Barrel das Wirtschaftswachstum in den Industrieländern um 0,4 Prozent bremsen wird. Die Auswirkungen in Europa wären etwas gravierender, weil wir stärker vom Import abhängen als die USA. Der negative Effekt beschränkt sich auf die ersten beiden Jahre, danach tritt ein Gewöhnungseffekt ein. Doch das alles gilt nur, wenn das Öl über ein ganzes Jahr deutlich teurer ist. Noch ist das nicht der Fall.

Aber es könnte so kommen?

Es kommt unter anderem darauf an, wann die großen Fonds aufhören, auf steigende Preise zu spekulieren. Sie werden es nicht tun, wenn sich die Lage im Irak und den umliegenden Ländern weiter verschärft. Außerdem hängt viel von der Entwicklung in China ab. Wenn dort die überhitzte Wirtschaft einen Einbruch erlebt, würde ein großer Teil der Nachfrage wegbrechen. Dann hätten wir eine Ölschwemme. Das ist aber ziemlich unwahrscheinlich. Ich glaube eigentlich, dass wir den Höchststand erreicht haben. Zumindest während des Sommers aber werden uns die hohen Preise begleiten. INTERVIEW STEPHAN KOSCH