Hitzige Erdgasdebatte

Boliviens Präsident stellt eine Erdgas-Volksabstimmung im Juli vor – das Thema des Volksaufstands letztes Jahr

PORTO ALEGRE taz ■ Die Debatte um die Nutzung von Boliviens Erdgasreserven geht in eine neue Phase. Staatspräsident Carlos Mesa hat die Fragen bekannt gegeben, über die BolivianerInnen am 18. Juli in einem Referendum abstimmen werden. Von einem Sieg verspricht sich Carlos Mesa innenpolitisch neue Spielräume. Allerdings gibt es keine direkte Frage über eine Verstaatlichung der Erdgasindustrie, was einer Umfrage zufolge 81 Prozent der Bevölkerung befürworten. Stattdessen will Mesa schrittweise die Kontrolle des Staats über das Erdgas erhöhen, ohne ausländische Investoren zu verschrecken.

Präsidentenberater Francesco Zaratti versicherte: „Die Verträge werden eingehalten, die Rechtssicherheit bleibt gewahrt.“ Eine Nationalisierung, so die Regierungsposition, sei nach Ablauf der Verträge möglich – in rund 40 Jahren. Die „wahre Nationalisierung“, so Mesa, liege in der Frage über die „Rückgewinnung des Eigentums aller Brennstoffe am Förderungsort“.

Der sozialistische Oppositionsführer Evo Morales sieht in der Formulierung „Rückgewinnung“ hoffnungsvoll einen Freibrief für die Annullierung der Verträge mit den Erdölmultis, sogar ohne Entschädigung. Mit dieser Interpretation steht der mögliche Präsidentschaftskandidat allerdings ziemlich allein da. Besonders gut gefällt Morales die Frage, ob der Präsident das Erdgas „als strategische Ressource“ nutzen könne, um Boliviens 1879 verlorenen Zugang zum Pazifik zurückzugewinnen: „Wenn Chile uns das Meer zurückgibt, können wir ihm Gas verkaufen, und das unterstütze ich.“

„Die Regierung zeigt sich als Sachwalterin der Multis“, meint hingegen Jaime Solares vom Gewerkschaftsdachverbandes COB. Auch Roberto de la Cruz, einer der Anführer des Volksaufstands im vergangenen Oktober, der mit der Verjagung von Mesas Vorgänger Gonzalo Sánchez de Lozada geendet hatte, lehnt das Referendum rundherum ab: „Keine der Fragen greift die Oktober-Stimmung auf.“

Andere lehnen das Referendum als verfassungswidrig ab. Besonders groß sind die Widerstände in den östlichen Provinzen Tarija und Santa Cruz, wo das Erdgas gefördert wird und das Referendum den starken Autonomiebestrebungen Aufwind geben könnte. GERHARD DILGER