Der Trotzige

Ernst Triebaumer ist ein sturer Weinbauer am Neusiedler See, der sich nie um Weinmoden gekümmert hat. Damit ist er weit gekommen – mit einem eigenen Gefühl für Wein und Zeit

VON TILL EHRLICH

Eisig weht der Wind am Westufer des Neusiedler Sees. Es ist Februar. Die Morgensonne scheint unerbittlich grell, die Silhouette der uralten Weinstadt Rust wirkt gestochen scharf. In einer kleinen Gasse liegt das Weingut der Familie Triebaumer. Es gibt keine Klingel, eine bronzene Glocke schwingt leise im Wind. Ernst Triebaumer trägt einen blauen Arbeitsanzug und schwere Stiefel. Ich folge ihm in den Keller. Der ist alt und eiskalt.

Schweigend verkosten wir seine Weine. Stehend. Ernst Triebaumer holt eine Flasche ohne Etikett aus einem Winkel des Kellers, öffnet sie. Sanftes Ploppen unterbricht die Stille. Er klappt ein Taschenmesser auf, schneidet einen alten Bogen Papier in exakte und gleichgroße Quadrate, erkundigt sich nach dem Datum. „Heute ist der Einundzwanzigste“, sage ich. „Danke“, erwidert er höflich, notiert Datum und Rebsorte mit Bleistift auf dem Zettel. Er schneidet ein kleines Loch in die Mitte des Zettels und spießt ihn auf den Flaschenhals. Seine Bewegungen sind fließend und geschmeidig, wie die eines Zenmeisters. Er wiederholt das Ritual bei jeder verkosteten Flasche. Insgesamt 22-mal.

Es beginnt mit trockenen Weißweinen aus verschiedenen Jahrgängen. Der erste Wein ist ein Gelber Muskateller, ihm folgt die Sorte Neuburger, eine lokale Eigenheit und Rarität. Die Weine duften zart und betörend. Am Gaumen wirken sie jedoch knochentrocken und vital. Erinnern in ihrer kargen Schönheit und Reinheit an Schneeluft. Und an die Unerbittlichkeit eines Schwertes aus der Schule von Hattori Hanzo. „Wir haben keine Angst vor der Säure“, sagt Ernst Triebaumer. Seine Weißen sind Tropfen, die Zeit und Geduld brauchen, um ihren Höhepunkt zu erreichen. Aber den halten sie dann auch viele Jahre, denn sie sind ungewöhnlich stabil und lagerfähig, besitzen nach etlichen Jahren noch innere Spannung und Frische. Die trockenen Weißweine wachsen auf kristallinen Böden, auf verwittertem Schiefer, Quarz und Gneis. Das verleiht ihnen eine intensive Mineralität, die man schmecken kann.

Dann kommt ein Chardonnay, und Ernst Triebaumer erwähnt, dass sie schon seit 100 Jahren Chardonnay anbauen. Das ist ihm wichtig. Chardonnay ist heute eine internationale Weinmode, aber Moden sind ihm gänzlich fremd. Er baut den Chardonnay an, weil es seit Generationen Tradition in seiner Familie ist. Und dieser Chardonnay ist denn auch ein Wein, der nichts mit uniformen Modeweinen gemein hat. Er verkörpert Zartheit und zugleich Entschlossenheit. „Wenn wir Chardonnay anbauen, dann muss es zu uns passen“, betont er. Und es passt. Der 56-Jährige mag als Winzer ein Einzelkämpfer sein, aber er ist fest verwurzelt mit seiner Familie. Er führt das Weingut als Familienbetrieb mit seiner Frau und seinen beiden Söhnen.

Dann geht er zu den Rotweinen über, nicht ohne zu erwähnen, dass er das jüngste Produkt in Rust ist, weil rote Sorten hier erst seit 130 Jahren angebaut werden. Moment mal, hat er 130 Jahre gesagt? In diesem Moment wird deutlich, dass Ernst Triebaumer ein eigenes Gefühl für Zeit entwickelt hat. „Alles, was wir machen, machen wir langsam“, betont er. Die Langsamkeit ist ein Schlüssel zum Verständnis dieses Winzers und seiner Weine. Und er macht Pausen, weil er beim Sprechen denkt. „Die Triebaumers waren immer die Nachdenklichen und Langsamen“, erklärt er, „das hat sich mit der Zeit zu einer glücklichen Symbiose entwickelt.“

Im Glas ist ein Rotwein der Sorte Blaufränkisch. Ein lebendiger und saftiger Wein, der an den intensiven Geschmack von Sauerkirschen erinnert. Blaufränkisch ist Triebaumers Spezialität, er bietet ein breites Spektrum von dieser Sorte an. Es reicht vom einfachen Fünf-Euro-Wein bis hin zu Spitzenweinen aus den Weingärten Ried Marienthal und Ried Oberer Berg. Mit charismatischem Blaufränkisch hat sich Familie Triebaumer bei Weinliebhabern Respekt verschafft, weltweit.

Am Neusiedler See herrscht pannonisches Klima. Also ein heißes Klima, das im Zusammenspiel mit der ausgleichenden Wirkung des Sees ganz eigene Nuancen entwickelt. Das Ergebnis können einzigartige Weine sein. Etwa trockene, mineralische Weißweine, kostbare Süßweine und charaktervolle Rotweine. Und unter den Roten ist es die Sorte Blaufränkisch, auch als Lemberger bekannt, die immer mehr an Bedeutung gewinnt.

Blaufränkisch ist eine uralte pannonische Rebsorte, ihr Ursprung liegt im Dunkeln. Der Legende nach soll Kaiser Karl der Große sie geschätzt und ihre Verbreitung befohlen haben. Im 10. Jahrhundert gelangte die Traube bereits nach Österreich. Später drang sie über den pannonischen Raum und Ungarn immer weiter gen Osten vor – bis nach China. Die Sorte wird auch als Pinot Noir des Ostens bezeichnet. Ihr Potenzial ist immens. Und sie vermag den Charakter ihres Bodens auszudrücken. Das Ergebnis können Weine sein, die ein Gegengewicht zu uniformen Weinen bilden. Dazu gehören etwa austauschbare Global-Players wie Merlot, Cabernet Sauvignon oder Syrah (Shiraz). Und im Weingebiet des Neusiedler Sees und des anschließenden Burgenlandes kann der Blaufränkisch ein unverwechselbares Profil ausprägen. Dazu gehören Eigenschaften wie Feinheit und Raffinement. Qualitäten, die man in den trotzigen Weinen von Ernst Triebaumer entdecken kann. Sie sind alles andere als anbiedernd. Sie sind in der Jugend schwierig, haben durchaus Säure. Die besten von ihnen beginnen sich erst nach fünf Jahren zu öffnen. Dafür sind sie dann umso schöner, wenn sich die Reife ihres Alters zu entfalten beginnt. Triebaumers Rotweine schwimmen gegen den Mainstream. Dazu braucht man Mut und ein gehöriges Maß Sturheit. Er besitzt beides.

Ernst Triebaumer vermittelt den Eindruck eines Mannes, der konsequent seinem Gespür folgt. Seine Gedanken und Worte über Wein, sind kein Marketing. Sie entspringen einer Erfahrung, die er durch Beobachtung und Arbeit mit Pflanzen und Natur gewonnen hat: „Unserem Naturverständnis entspricht es, dass wir dem Weinstock nicht mit Gewalt begegnen, sondern ihn als Individuum begreifen. Das ist eine geistige Leistung, die von uns gefordert wird.“

Nach knapp drei Stunden verkosten wir immer noch im Stehen. Aber es ist keine Ermüdung spürbar. Denn Triebaumer hat noch einen besonderen Joker parat: seine edelsüßen Beerenauslesen. Sie werden seit Jahrhunderten Ruster Ausbruch genannt. Es sind süße Wunder der Natur, die all das verdichten, was diese Weinkollektion ausmacht: Schönheit.

Ernst Triebaumer ist beim letzten Zettel angelangt. Es ist der 22. Er spießt ihn über den Flaschenhals. Er hat während der gesamten Verkostung, nicht einmal gefragt, wie die Weine schmecken, hat nicht nach Komplimenten gefischt. Er muss niemanden fragen oder nötigen, wie seine Weine schmecken. Er weiß es. Ernst Triebaumer kennt die Schwächen und Stärken seiner Weine. Diese Aufrichtigkeit gegenüber dem Wein und sich selbst charakterisiert ihn. Das ist ebenso selten, wie die Qualität seiner Weine. Vielleicht ist das ihr Geheimnis.