Eine wahrhaft deutsche Geschichte

Lutz Hachmeisters Dokumentation „Schleyer – Eine deutsche Geschichte“ über die zweifelhafte Laufbahn des 1977 von der RAF entführten und ermordeten Hanns Martin Schleyer ist am Montag im Abaton zu sehen

Scheinbar fehlte dem Regisseur an mancher Stelle der Mut oder die Möglichkeit zu weiterer Recherche

von MATTHIAS SEEBERG

Das in der deutschen Öffentlichkeit bekannte Bild Hanns Martin Schleyers ist fast ausschließlich durch die Ereignisse im so genannten „Deutschen Herbst“ bestimmt. Schleyers Entführung und Ermordung durch das „Kommando Siegfried Hausner“ der Roten Armee Fraktion gilt bis heute als der spektakulärste politische Kriminalfall in der Geschichte der Bundesrepublik.

Die einzelnen Stationen seiner Karriere jedoch, die immerhin in der Präsidentschaft der Arbeitgeberverbände und des Bundesverbands der Deutschen Industrie gipfelte, finden im Rückblick auf die 70er Jahre und ihrer politischen Situation nur selten oder ansatzweise Erwähnung. So untersagte der damalige Hamburger Schulsenator Günter Apel 1977 den hiesigen Lehrern ausdrücklich, etwaige dunkle Punkte in Schleyers Leben auszuleuchten. Auch in Heinrich Breloers publikumswirksamem Fernsehzweiteiler Todesspiel ist allenfalls am Rande die Rede von Schleyers Rolle im Nationalsozialismus.

Lutz Hachmeisters aktuelle Dokumentation Schleyer – Eine deutsche Geschichte unternimmt mit Hilfe von Interviews mit Schleyers Witwe, seinen Söhnen sowie Freunden und Vertrauten den Versuch, die Lebensgeschichte des hartnäckigen Unternehmervertreters in eine chronologische und konsistente Darstellung zu bringen – von seinem schon 1933 erfolgten Beitritt zur SS bis zu seinem Aufstieg an die Spitzenpositionen der deutschen Wirtschaft.

Allein ein Drittel des 90-minütigen Films beschäftigt sich mit Schleyers Karriere in verschiedenen radikalen NS-Studentenverbänden und im Prager „Centralverband der Industrie für Böhmen und Mähren“. Seine damit verbundene Verstrickung in die nationalsozialistischen Strukturen der Rüstungs- und Vernichtungsmaschinerie belegt Hachmeister durch die Verwendung zahlreicher historischer Originaldokumente. So schrieb der 26-jährige Schleyer 1941 als Antwort auf die mehrfache Aufforderung des Reichsinnenministeriums, sein juristisches Referendariat zu beginnen, er sei „ein alter Nationalsozialist und SS-Führer“, um so seinem Unbehagen an einer langweiligen Beamtenlaufbahn Ausdruck zu geben. Stattdessen gehörte er zum engeren Kreis des ökonomischen Multifunktionärs Bernhard Adolf, dem neben der Eindeutschung der für die Rüstung wichtigen tschechischen Wirtschaft auch die radikale Ausmerzung aller tschechisch-jüdischen „Mischlinge“ wichtig war.

Einen bemerkenswerten Einblick in die bis heute wirkenden Verdrängungsmechanismen bietet der Film, indem er dokumentiert, dass bis heute keiner seiner drei Söhne oder seiner engsten Vertrauten etwas von Schleyers aufrechter völkischer und antisemitischer Überzeugung erfahren haben will. Dabei schrieb er 1935 in einem offenen Brief im Heidelberger Student zu seinem Austritt aus dem in Misskredit geratenen Corps Suevia, er könne es nicht verstehen, „dass ein Corps aus der Auflage, zwei Juden aus der Gemeinschaft zu entfernen, eine Existenzfrage macht“.

Vielleicht hat es damit zu tun, dass Hachmeister außer Günter Wallraff und den ehemaligen RAF-Mitgliedern Stefan Wisniewski und Christof Wackernagel keine weiteren Kritiker an Schleyers Karriere in seinen Film mit einbezogen hat: Trotz zahlreicher interessanter Details bleibt das Gefühl, dem Regisseur hätte an mancher Stelle der Mut oder die Möglichkeit zu weiterer Recherche gefehlt. Warum, so wäre etwa zu fragen, erwähnt der Film eine immerhin im Fernsehen gemachte Behauptung Daniel Cohn-Bendits über den engen Kontakt Hanns Martin Schleyers zum Organisator der „Endlösung“ Reinhard Heydrich, ohne sie im weiteren Verlauf zu bestätigen oder zu korrigieren? Der vielleicht einzige Mangel an Hachmeisters durch etliche Originalbilder illustrierte Dokumentation.

Premiere (mit Gästen): Montag, 20 Uhr, Abaton. Der Film startet am 10.7.