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Raus aus der totalen Defensive

Die Landtage sind ausgezehrt, ihre gesetzgeberische Arbeit ist vekümmert. Doch auch die Bürgerschaft möchte mehr sein als eine „bessere Schülermitverwaltung“. Mit einer geplanten Verfassungsänderung könnte ihre Macht wieder zunehmen

taz ■ Wenn die Bremischen Abgeordneten heute zur ihrer konstituierenden Sitzung zusammentreten und im Plenarsaal Platz nehmen, dann können sie sich schon wieder auf einen Abschied einstellen. Bereits ab Oktober wird das Haus der Bürgerschaft renoviert. Bis Frühjahr 2004 dürfen die MdBB dann im Rathaus tagen, und zwar im Festsaal, wie früher in der Nachkriegszeit. Senat und Parlament befinden sich dann kurzzeitig im selben Haus: Die Legislative schlüpft gleichsam unter den Rocksaum der Exekutive.

Was so kuschelig klingt, hat sich im deutschen Föderalismus zum großen Problem ausgewachsen: Längst wird die „Auszehrung der Landesparlamente“ beklagt, deren gesetzgeberische Arbeit „verkümmert“ sei. Der Bund zog immer mehr Kompetenzen an sich, gestand den Ländern jedoch im Gegenzug eine Menge an Mitsprachemöglichkeiten über den Bundesrat zu. Die Crux dabei: Macht und Gestaltungskraft liegen in der Länderkammer bei den Landesregierungen, in Bremen also beim Senat. Die Bürgerschaft schaut dabei in die Röhre. „Das Agieren der Landtage erinnert bisweilen an eine bessere Schülermitverwaltung“, ätzt die Süddeutsche Zeitung. Und ein hochrangiger Bremer Sozialdemokrat stöhnt: „Sie müssen sich mal die Tagesordnungen der Bürgerschaft ansehen, da behandeln wir Anfragen und Anträge ohne Ende – aber eigentliche Gesetzgebung gibt es kaum noch.“

Im April waren Bürgerschaftspräsident Christian Weber (SPD) und Parlaments-Direktor Rainer Oellerich nach Lübeck gereist – zu einem „Föderalismus-Konvent“ aller Landtagspräsidenten sowie aller Fraktionschefs der Länderparlamente. „Das war die geballte Macht der Legislative“, schwärmt Weber über das Strategie-Treffen. „Wir mussten raus aus der totalen Defensive“, so der Parlamentspräsident.

Der Deal mit Berlin könnte, vereinfacht dargestellt, so aussehen: Die Länder erhalten wieder mehr Gelegenheit zur eigenständigen Gesetzgebung und können auf bestimmten Gebieten – etwa in Fragen von Hochschulwesen, Naturschutz und Raumordnung – von Bundesgesetzen abweichen. Dafür verderben sie der Bundesregierung nicht mehr so oft den Brei, in dem die Vetomöglichkeiten der Länder im Bundesrat zusammengestrichen werden.

In Lübeck hat die „geballte Legislative“ unter anderem gefordert, dass die Landesregierungen künftig „in Bundesratsangelegenheiten, die Gesetzgebungszuständigkeiten der Länder wesentlich berühren“, die Stellungnahmen der Landesparlamente „maßgeblich berücksichtigen“. Bislange gebe es lediglich eine umfassende Informationspflicht des Senats, sagt Oellerich. Folge Bremen jedoch der Lübecker Empfehlung und ändere seine Landesverfassung entsprechend, dürften die Abgeordneten wieder häufiger an der Gesetzgebung mitwirken. Erste Signale aus dem Rathaus sind positiv. „Man ist dort gesprächsbereit“, so Weber. Markus Jox

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