Neues Waffengesetz lässt Altfälle ungeprüft

Todesschütze besaß Waffenschein offenbar nur aufgrund einer Gesetzeslücke. Zwei Opfer noch in Lebensgefahr

Der Todesschütze von Kreuzberg war zwar im Besitz eines Waffenscheins – der war aber nur aufgrund einer Gesetzeslücke noch gütig. Seit 1. April müssen alle Schützenvereine melden, wenn ein Mitglied austritt. Damit verlieren sie ihr Anrecht auf eine gültige „Waffenbesitzkarte“ – dies gilt laut Gesetz aber nur für neue Austritte, Altfälle müssen nicht gemeldet werden. „Die Meldepflicht bei Austritten im neuen Waffengesetz ist ein Beitrag zur Sicherheit“, betont Hans-Günter Lieser, Leiter der Berliner Waffenbehörde. Auf Grundlage der Vereinsangaben stellt die Behörde die Karten aus, zieht sie bei Missbrauch und fehlendem Bedarf aber wieder ein. Der Schein ist ansonsten unbegrenzt gültig. Denn die Verbände prüfen aktive Sportschützen regelmäßig.

Der 38-Jährige, der am Montag eine Frau erschoss und zwei weitere Personen schwer verletzte, bevor er sich selbst tötete, war nur bis 1996 Mitglied in einem Eisenacher Schützenverein. Da er seit Jahren in Berlin lebte, ist fraglich, ob er noch aktiv war. Beim Schützenverband Berlin-Brandenburg jedenfalls nicht.

Dieser Verband hat 8.000 Mitglieder und gilt als zuverlässig. „Die Waffenbehörde wird von uns immer schon über jeden Austritt unterrichtet“, sagt Verbandssportleiter Manfred Wolff. Nicht der Zugang zu legalen Schusswaffen sei das Problem, so Wolfgang Dicke, Waffenrechtsexperte und Bundesgeschäftsführer der Gewerkschaft der Polizei. Nur 0,003 Prozent aller Tötungsdelikte werden mit legalen Feuerwaffen begangen. Die meisten mit Küchenmessern – das diskutiere niemand, so Dicke: „Gewalt ist ein gesellschaftliches Problem“. Damit müsse man sich auseinander setzen.

In der Kreuzberger „Bar 11“ warteten unterdessen gestern alle auf Nachrichten aus dem Krankenhaus Marzahn. Barkeeper Markus M. liegt dort seit Montagabend mit lebensgefährlichen Verletzungen im Koma. Stefan H. hatte, nachdem er seine ehemalige Lebensgefährtin Regina H. erschossen hatte, auch mehrfach auf den zur Arbeit fahrenden Barman geschossen. „Es gibt eine sehr große Anteilnahme“, so Kneipier Robby Schlesiger. „Wir haben ein Spendenkonto eingerichtet.“ Auch die Dosen auf den Tresen der Kreuzberger Kneipen füllen sich mit Spenden. Die 39-jährige Regina H. wohnte nahe dem Tatort mit ihren beiden Söhnen in der Manteuffelstraße. Seit knapp zwei Jahren war sie mit Stefan H. zusammen. „Eine Lady – sie war in den letzten Wochen häufiger Gast bei uns“, erzählt Barmann Schlesiger. Das Gerücht, Markus M. und Regina H. hätten eine Affäre gehabt, nennt er „einen Holzweg“.

In künstlichem Koma befindet sich der 43-jährige Polizeihauptmeister, der den Schützen stellen wollte. Dieser schoss ihn in den Bauch, flüchtete in den Hof der Ohlauer Straße 42 und richtete sich dort selbst.

HANNES HEINE