Die Folterer benutzen eine Stechuhr

Das schwerste aller Themen: Marco Bechis’ Spielfilm „Junta“ versucht zu schildern, was zu Zeiten der Militärdiktatur in argentinischen Folterkellern geschah. Er tut das mit nüchternem Blick und erreicht dadurch Momente der Klarheit

Es braucht nicht viel, um die Siebzigerjahre wiederauferstehen zu lassen. Für ein Revival der anderen Art genügt ein Sack über dem Kopf, wahlweise eine Augenbinde. Menschen werden auf offener Straße gekidnappt, im Auto wird der Kopf nach unten gedrückt, damit man sie nicht sieht. Mutmaßliche Widerständler flüstern Sätze wie „Ich will nicht wissen, wo du wohnst“. Es sind Bilder einer heimlichen, erbärmlich primitiven Diktatur, wie es sie damals zu dutzenden gab. Der argentinische Regisseur Marco Bechis ruft sie jetzt wieder hervor. „Junta“, bereits vor vier Jahren gedreht, ist den 30.000 Menschen gewidmet, die man seit dem Ende der Militärdiktatur als „Desaparecidos“ bezeichnet, als „Verschwundene“. Es ist ein Film über die Folter.

Gefoltert wird im unterirdischen Teil einer Autowerkstatt namens „Garage Olimpo“ in Buenos Aires. Nur eine Stahltür trennt die belebte Straße von dem, was hier mit Maria (Antonella Costa) gemacht wird. Die Studentin wird ohne Nachricht nach draußen festgehalten und mit Stromstößen traktiert. Ihr Folterer Felix ist der Untermieter ihrer Mutter und ein bisschen in sie verliebt, aber wer hier wen foltert und was dabei herauskommen soll, ist im Grunde unerheblich. Was zählt, ist die Angst, der Schmerz, der Schmutz und die Zeit, die verrinnt. Die Folterer haben eine Stechuhr.

Bechis vermeidet alles, was bei diesem schwersten aller Themen ins Verderben führt. Gäbe es ein Wort für das Gezeigte, wäre es „lakonisch“ oder „nüchtern“. Man hört keine Schreie. Wir sehen nur, was vor und nach der eigentlichen Folter passiert. Dazwischen inszeniert Bechis eine beeindruckende Geräuschkulisse aus leckgeschlagenen Wasserleitungen, Pingpong spielenden Angestellten und dem Radiogedudel, mit dem sie ihre Taten übertönen. So schafft eine kluge Regie Momente der Klarheit. Als Maria einmal geschunden auf der Pritsche liegt, tadelt ein Arzt den Folterer wegen der Überschreitung der vorgeschriebenen Voltzahl. Der Zuschauer empfindet ihn tatsächlich als Engel. Dabei gewährleistet er nur die Effizienz des Folterkontinuums.

Was Maria selbst empfindet, bleibt unter der Augenbinde nicht selten nur dem Zucken ihres Mundes überlassen. Um das Gefühl der Ungewissheit zu erzeugen, hat Bechis seinen Schauspielern immer nur einen Teil des Skripts zukommen lassen. Man könnte einwerfen, dass ihr stoisches Schweigen zu irgendwelchen Namen und Treffpunkten als maßloses Heldentum inszeniert ist. Doch sie muss ihre Sinne beisammenbehalten, um das Spiel mit Felix weiterzuführen, ihre einzige Überlebenschance. Einmal führt der Junge sie sogar in eine Bar aus. In dieser bizarren Situation ist der Unterschied zwischen Diktatur und Normalität endgültig nicht mehr erkennbar. Zumindest nicht für den unbeteiligten Beobachter, also alle anderen.

Was Bechis hier beschreibt, ist sowohl die schizophrene Form einer konkreten Diktatur als auch ein unbestimmtes Gefühl und eine menschliche Urangst: in einem Gefängnis zu sitzen, dessen Tür in der eigenen Imagination offen steht. Dazu passen auch zwei rätselhafte, leitmotivische Flugbilder: die Stadt und das Meer. Buenos Aires ist der unüberschaubare Moloch, der beiden Seiten Unterschlupf bietet und das Vergangene bis heute in Smog hüllt. Das Meer, der prototypische Fluchtpunkt aller Freiheitsliebenden, ist das Meer, in dem man die Opfer der Diktatur verschwinden ließ. Ein General hat das 1998 im Radio ausgeplaudert, der Film ist unmittelbarer Ausdruck des darauf folgenden Entsetzens. Leider gibt es darin wirklich kaum Hoffnung, davon abgesehen, dass das alles irgendwann vorbei war.

PHILIPP BÜHLER

„Junta“. Regie: Marco Bechis. Mit Antonella Costa, Carlos Echeverría, Dominique Sanda u. a. Frankreich/Argentinien/Italien 1999, 98 Minuten