Die Cowboys ohne Pferd

Einigen Berlinern ist ihre Stadt entschieden zu deutsch. Sie würden am liebsten in Spandau, Texas, oder New Cologne, Nebraska, leben. Ersatzweise treffen sie sich in ihrem Cowboy-Verein und pflegen ihren Hang zu Waffen und Alkohol

von SILKE KETTELHAKE

Draußen leuchtet Siemensstadt in der Sonne. Drinnen, hinter nikotinverfärbten Gardinen, zischt Harry der Cowboy das nächste Bier, allein in seinem Saloon. Für die Nacht oder den Tag, wenn der Alkohol ihn umwirft, wartet das Klappbett. „Ja, wir feiern hier öfter“, murmelt er zerstreut und blickt voller Stolz auf seine Wanddekorationen. Handfeuerwaffen, Gewehre und Säbel bestücken die Wände. Unter der niedrigen Decke hängen Stars-and-Stripes-Flaggen aneinander wie ein müdes Zelt. „Een Mal ist einer vom Hocker gefallen, hat sich nicht mehr jerührt. Musste der Krankenwagen kommen.“ Endloses Country-Gedudel dröhnt über Harrys Tresen mit den palettenweise geleerten Whiskyflaschen.

Auch wenn niemand da ist, herrscht das große Wir-Gefühl. „Dit is der Zusammenhalt, jeder hat seinen Platz, und da merkt man auch, dass man gebraucht wird!“, behauptet Harry. Er ist zum Deputant des Cowboy-Vereins New Rider aufgestiegen. In Neukölln halten „die Jungs“ ihre Sitzungen ab. Da wird Gerechtigkeit verhandelt. Erst kürzlich musste Harry ran: Kameradendiebstahl, ein Zippo-Feuerzeug mit Gravur wurde gestohlen. Dem Dieb wurden sämtliche Rechte in der Gruppe abgesprochen. Als Deputant Festus robbt Harry durch sein Leben als amerikanischer Südstaatler. Er ist einer, der seinen Ruf zu verteidigen hat. Das Schlachtengetümmel des amerikanischen Bürgerkriegs vor Augen, putzt Harry hingebungsvoll seine Waffen. Mit geschlossenen Augen kann er seine „Babys“ zusammensetzen. Seine kurzen Finger mit den abgekauten Nägeln bewegen sich zärtlich mit schlafwandlerischer Sicherheit über die ausgebreiteten Waffen. Harry ist verdammt einsam und man riecht es. Der Geruch beißt sich in die Erinnerung an eine nachmittägliche Stunde, in der die Sonne keine Chance hatte.

Die Tage driften dahin, bis endlich das Wochenende kommt. Dann fährt Harry runter nach Neukölln. Im Hinterzimmer des Dartvereins Eumel e. V. tagt sein Cowboyverein. Mit Harry zusammen starren sechs Mann träge in ihre Biere, die Luft ist verraucht, es gibt kein Fenster. Eine Frau im viel zu großen Holzfällerhemd sitzt dabei, mit hängenden Schultern.

Kitty ist verheiratet mit Ringo, dem Ersten Vorsitzenden der New Riders. Auf einem Kneipenstuhl ruckt ein etwa neunjähriger Junger wie auf einem bockenden Pferd hektisch auf und ab. Kittys Sohn ist hyperaktiv. „Jetzt halt doch mal die Schnauze!“, brüllt Ringo. Der Junge muss auf die Toilette. Passt jetzt aber nicht.

Ringo trinkt Bier, als wäre es sein Beruf, und Kitty, die Bleichgesichtige mit den stechenden Augen, macht klar, wie aus einem Hillbilly-Fan ein Countrygirl wurde. Lag’s an ihrem Mann? „Ach was, ich hab schon früher die Musik gerne gemocht und getanzt. Und durch meinen Mann bin ich da erst richtig reingekommen, das stimmt. Man muss eben dazu stehen, nicht nur am Wochenende mal so rumlaufen.“ Nervös inhaliert Kitty ihre Marlboro.

„Zuerst war’s mir ein bisschen peinlich, in der U-Bahn und so, aber jetzt hab ich auch die richtigen Sprüche, wenn einer komisch guckt. Heute sa’ick einfach: Scharf auf meine Sporen?“ Kitty lacht. „Macht eben Spaß. Ich bin Stuntgirl. Bei mir wechselt es zwischen Revolverheldin und Reverendsfrau, also von ganz solider Lady bis zur harten Killerin. Mir ist es sehr ernst mit dem, was ich darstelle. Für mich ist das kein Spiel.“

Kittys liebster Stunt: „Ich sitze im Publikum, und die Männer kämpfen. Mit einem Mal stehe ich auf und schreie: „Hört auf zu töten, Schluss damit, ihr Südstaatler! Dann zieht mich einer raus vom Sitz, einer unserer Männer, und erschießt mich von hinten.“

Show, das ist das Größte für die New Riders, gleich nach den Schießübungen. Schießtraining ist teuer, jeder Schuss kostet. Aber da macht Kitty nicht mit, das ist nur für die Männer, genau wie der Alkohol. Kitty trinkt keinen Tropfen: „Mein Mann, na, wenn er säuft, muss er halt selber sehen, wie er nach Hause kommt. Ich hab da kein Mitleid.“

Dann beginnt die Vereinssitzung. Alles dreht sich um das neue Waffengesetz – Paragraf 35 betrifft den Waffenschein: „Wer Schusswaffen führen will, bedarf der Erlaubnis der zuständigen Behörde. Die Erlaubnis wird durch einen Waffenschein erteilt. Sie wird für bestimmte Waffen auf höchstens drei Jahre erteilt. Die Geltungsdauer kann zweimal um höchstens je drei Jahre verlängert werden.“

„Ditte wollte ick hiermit noch eenmal nacherklärt wissen. Allet klar“, lallt Ringo in Richtung des verspäteten President Uwe. Es ist viertel nach drei am Nachmittag. Ringo kann nicht aus seiner Haut. Wenigstens hier muss alles seine Ordnung haben. Alle tragen Hut und Kutte, den Cowboyhut tief in die Stirn gezogen. Haltung bewahren, heißt es auf dem Gang zur Toilette, sturzbetrunken – aber aufrecht gehen.

„Mann, was passiert denn, wenn wir vom Stunt kommen! So ’nen Säbel kannste doch einfach nicht verstecken!“, ruft eines der Mitglieder aus. Der junge Mann ist schmal, in sich versunken. Einer, bei dem man sofort den Hang zu einer Irrsinnstat vermutet. Martin, 28, lebt noch bei seiner Mutter, aber für den Verein gibt er alles.

„Ein Euro Strafe fürs Dazwischenquatschen! Klar, wir müssen die Waffen so tragen, dass sie nicht sichtbar sind, in Rucksäcken versteckt“, kontert Ringo, und natürlich ist wieder mal der Staat schuld an der Misere. „Die wollen uns schröpfen!“ Zustimmend klopfen die Cowboys mit ihren dicken Ringen auf den Resopaltisch – und es folgt eine neue Runde für alle.

Deputant Festus alias Harry wankt an die Bar. Das Bestellen erfolgt diskret, als würde sich der eine für den Alkoholkonsum des anderen entschuldigen. „Fuffzig Euro wollen die für alle mit Waffenschein!“, schmettert Ringo in die dumpfe Runde, „und dabei kann sich jeder 18-Jährige einen Vorderlader kaufen!“ Der Neunjährige kippelt wie verrückt, wütend dreht sich Ringo um. Verschreckt kracht der Junge mit dem Stuhl an die Wand. Geweint wird hier nicht. Aber gesoffen.

Der Cowboyclub New Rider ist ein offener Verein und freut sich über neue Mitglieder. Natürlich muss die Aufnahmeprüfung bestanden werden: Der amerikanische Bürgerkrieg sollte von A bis Z abrufbar sein, immer wieder gibt es strenge Zwischenprüfungen der Mitglieder. Und wegen paramilitärischen Übungen und dem Umgang mit Waffen sollten sie keine Bedenken haben. „Ick gloobe, wir machen hier jetzt’n Break“, meint Ringo, und schluckt heftig Bier: „Und dat diss klar ist: Im Irak und weiter da unten, bei de Amis, ick wär an vorderster Front dabei!“