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Kleider machen Kolonien

Postkolonialer Hybride: Yinka Shonibare ist weder Prediger noch Protestkünstler, aber dennoch sehr politisch. Die Kunsthalle Wien zeigt die erste große Schau des Künstlers im deutschsprachigen Raum

Kolonialismus hin oder her: Ihm gefällt die viktorianische Kleidung einfach

VON JENS KASTNER

Sex in vielen Posen, kopflos orgiastisches Treiben adliger Figuren unter einer schwebenden Kutsche: Die Arbeit „Gallantry and Criminal Conversation“ (2002) des nigerianisch-britischen Künstlers Yinka Shonibare war auf der letzten documenta ein Hit.

Die lebensgroßen Puppen mit ihren Kleidern aus den bunten, vermeintlich afrikanischen Stoffen konnten die Ansprüche an einen postkolonialen Diskurs in jeder Hinsicht sinnlich vermitteln, und der Vorwurf der Kopflastigkeit musste an diesem Schaustück ganz offensichtlich abprallen.

Ein Antiintellektueller ist Shonibare allerdings nicht. Sich selbst als „postkolonialen Hybriden“ beschreibend, positioniert er sich in einem Diskurs, der sich in den letzten Jahren auch in den deutschsprachigen Kulturwissenschaften und Feuilletons einen festen Platz erobert hat. Hatte Homi Bhabha, der postkoloniale Theoretiker der Hybridität, diese noch als Praxis kultureller Subversion begriffen, wird sie in hiesigen Institutionen nicht selten als multikulturelles Mischmasch entpolitisiert. Um dem zu begegnen, kommt die Ausstellung in der Wiener Kunsthalle, die erste große Einzelschau Shonibares im deutschsprachigen Raum, vielleicht gerade recht.

Denn seine auf den ersten Blick oft witzigen Arbeiten sind eminent politisch. Die Stoffe, in die Shonibare seine Aristokraten kleidet, haben statt des traditionellen Afrikas den globalen Handel zum Thema. Die zum Symbol westafrikanischen Selbstbewusstseins gewordenen Wachsbatiken wurden in Holland und England gefertigt, zunächst um nach Indonesien importiert zu werden. Auch die westafrikanischen Hilfstruppen der Kolonialmächte trugen sie dort und sorgten mit ihrer Rückkehr dafür, dass ihre auf Unabhängigkeit drängenden Nachfahren eine äußerliche Alternative zum Anzug der Kolonisatoren hatten.

Auch auf einer anderen Ebene sind hier die Stoffe behandelt, aus denen Politik besteht. Denn ihre Muster erzählen keine Dorflagerfeuergeschichten, sondern sind so austauschbar wie die Farbgebung auf Warhols Supermarktartikeln. Dass seine Plastiken auch als (Post-)Pop-Art-Skulpturen zu lesen sind, geht implizit gegen die Erwartung an, ein schwarzer Künstler müsse schwarze, also Ethnokunst machen. Zwar ließen sich die beiden unter der Decke hängenden Astronauten mit ihren schwarzen Helmen und den schwarzen Popstars („The Delfonics“) auf den bunten Wachstuchanzügen als identitätspolitisches Statement deuten, zumal ihr Raumschiff „Martin Luther“ heißt („Space Walk“, 2002). Shonibare aber ist weder ein Prediger, noch eckt er sonderlich an mit seiner Kunst.

Dass und inwiefern Kleider Leute machen, ist eines der zentralen Themen Shonibares, für dessen Umsetzung er sich einer in der zeitgenössischen Kunstgeschichte beliebten Methode bedient: Irritieren durch Fake. Das wird in der Wiener Kunsthalle besonders schön deutlich. Flankiert sind die diversen skulpturalen Personengruppen nämlich von großformatigen Fotoarbeiten. So bietet erst die Zusammenschau der verschiedenen Medien einen umfassenden Einblick in die künstlerische Strategie. In der fünfteiligen Fotoserie „Diary of a Victorian Dandy“ (1998) setzt sich Shonibare selbst in Pose inmitten eines viktorianischen Ambientes, umgeben von Dienstmädchen und anderem Personal weißer Hautfarbe. Von der Selbstinszenierung über die Frage der kulturellen Identität bis hin zur offen wirkenden Genrefrage – handelt es sich um Filmstills, sind es Porträts oder womöglich Werbeaufnahmen? – sind die Anleihen an feministische Strategien der 1990er-Jahre deutlich ablesbar.

Selbst wenn Shonibare kein Protestkünstler ist, sind seine Arbeiten dennoch dazu angetan, im öffentlichen Raum – der Dandy war ursprünglich in der Londoner U-Bahn plakatiert – für einige Irritationen zu sorgen. Auch in der aus zwölf großen Fotos (elf schwarz-weiß, eines bunt) bestehenden Bebilderung zu Oscar Wildes „Dorian Gray“ mit Shonibare in der Hauptrolle projiziert sich der Künstler in die Geschichte der westlichen Hochkultur. Er verbindet dabei in diesem Fall die Verunsicherung des Blicks mit den literarischen Dauerbrennerthemen Jugendkult, Dekadenz und Tod.

Geht es ihm einerseits um den Ausschluss im großen Stil, hat er andererseits viel zu viel Spaß, um moralisch zu wirken. Selbst die Documenta-Arbeit, die eine erste Form des Sextourismus durch den englischen Adel auf seiner Grand Tour durch Europa bearbeitet, ist also keine rein antikoloniale Anklage. Im Gegensatz zu Stoffen und Posen liefert die Kopflosigkeit aller Figuren jedoch ein unübersehbares Indiz für weniger witzige Aspekte des Modernisierungsprozesses. Zur Methode des 1962 in London geborenen Künstlers gehört es auch, dass er auf die Frage, warum er zur Verdeutlichung des kolonialen Blickregimes ausgerechnet das Viktorianische Zeitalter wählt, lakonisch antwortet: „Mir gefällt die Kleidung.“

Bis 5. September, Katalog (NAi publishers) 33 €

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