„Warum schockieren folternde Frauen mehr als folternde Männer?“, fragt Cynthia Enloe

Einige US-Konservative wollen zurück zum reinen Männermilitär. Doch das ist eine Illusion: Die Army braucht Personal

taz: Frau Enloe, wie hat die US-Öffentlichkeit auf die Bilder folternder Frauen in Abu Ghraib reagiert?

Cynthia Enloe: Die Öffentlichkeit war schockiert, dass junge US-Frauen zu solchen Misshandlungen fähig sind. Diese Haltung ist immer wieder verblüffend. Man findet es offenbar weniger schockierend, dass Männer auf den Bildern zu sehen sind. Ihnen billigt man dieses Gewaltpotenzial zu. Ich frage mich, ob es das gleiche Entsetzen gegeben hätte, wenn nur Männer gefoltert hätten.

Dieser Effekt wird noch verstärkt, weil eine Frau das Gefängnis leitete?

Ja, wobei wir heute wissen, dass Generälin Janis Karpinski eine Reservistin war und daher weniger Macht hatte als jemand im aktiven Dienst. Sie sagte aus, ihre Vorgesetzten hätten ihr die Verantwortung entzogen und sie dem Geheimdienst übertragen. Es fragt sich, ob man einen männlichen Gefängnischef ähnlich leicht hätte aushebeln können. Karpinski war jedoch nicht die einzige höherrangige Frau in Abu Ghraib. Es gibt eine Offizierin, Caroline Wood, die eine weit wichtigere Rolle spielte. Sie gehört zum Militärgeheimdienst und war vorher in Afghanistan an Verhören von Talibankämpfern beteiligt, denen Bush und Rumsfeld die Rechte der Genfer Konventionen verweigerten. In Abu Ghraib war sie möglicherweise dafür verantwortlich, dass dort die folterähnlichen Verhörtechniken aus Afghanistan angewendet wurden.

Ein feministisches Argument lautet, durch mehr Frauen werde die Armee humanisiert. Ist dies nun hinfällig?

In den USA haben nur wenige Feministinnen dieses Argument je benutzt, es kam eher von Politikern und Kommentatoren. Feministinnen hatten nicht die Illusion, dass fünfzehn Prozent Frauen im Militär eine tief maskuline Institution verändern könnten. Sie haben eher davor gewarnt, dass Soldatinnen sich dem Druck einer dominant maskulinen Struktur anpassen müssen, um akzeptiert zu werden und erfolgreich zu sein. Dennoch unterstützen viele Feministinnen Frauen, die eine militärische Laufbahn anstreben. Ihr Augenmerk richtet sich darauf, frauenfeindliche Verhaltensmuster in der Armee anzuprangern.

Im Golfkrieg 1991 wurden viele Soldatinnen eingesetzt – damals schien sich der Widerspruch zwischen Militär und Weiblichkeit aufzulösen. Die Soldatinnen erhöhten die Akzeptanz des Krieges in der US-Bevölkerung. Wird der Folterskandal diese Entwicklung stoppen?

Für eine Antwort ist es noch zu früh. Es gibt einige Konservative, die sich eine reine Männerarmee wünschen. Dagegen spricht allerdings viel: Zum einen sind Soldatinnen eine mehrheitlich akzeptierte Selbstverständlichkeit geworden. Außerdem ist diese Idee schlicht unrealistisch. Das Pentagon hatte nach 1973, als die allgemeine Wehrpflicht abgeschafft wurde, ein Problem. Es musste den Verlust an weißen Männern aus der Mittelschicht ausgleichen – und tat dies mit mehr Frauen.

Nun wird regelmäßig die Einführung der Wehrpflicht gefordert. Steht das an?

Nein. Einige Kongressabgeordnete bringen dies zwar immer wieder auf die Tagesordnung – aber es gibt dafür keine öffentliche Unterstützung. Zudem scheint die Militärspitze abgeneigt. So schwierig es ist, in Kriegszeiten den Streitkräftebedarf zu decken, so wenig mögen Offiziere mit jungen Leuten zu tun haben, die keine Lust auf den Wehrdienst haben. Das war eine Lehre aus Vietnam.

Sind Frauen in der US-Armee heute eigentlich auch an der Front im Einsatz?

Sie sind vor allem in nicht kämpfenden Versorgungseinheiten tätig. Doch die Kriege haben sich verändert. Positionen vor und hinter der Front sind stärker verschmolzen, sodass auch Service und Logistik gefährliche Jobs sind, wie das Beispiel der berühmtesten Soldatin des Irakkriegs, Jessica Lynch, zeigt. Auch 1991 war keine der getöteten Frauen auf dem „richtigen“ Schlachtfeld im Einsatz. Dies gilt immer noch als primär maskuline Aufgabe.

Im Irak scheint es manchmal so, als würde der Krieg von US-Seite wesentlich von Reservisten geführt. Stimmt das?

Nach Ende des Kalten Krieges wurden die reguläre Armee verkleinert und die Militärausgaben reduziert. Gleichzeitig ist jedoch der Einsatz von US-Streitkräften erheblich ausgeweitet worden. Das funktioniert nur, weil Reservisten und Nationalgarde in die strategische Kriegsplanung einbezogen wurden. Viele Frauen wurden daher in den Irak abkommandiert. Und das nicht nur für einige Wochen, sondern bis zu ein Jahr.

Viele der in Abu Ghraib Beschuldigten sind Reservisten. Wird das Pentagon – als Konsequenz – den Einsatz von Reservisten begrenzen?

Eine erste Konsequenz wird sein, die Vorbereitung auf ihren Einsatz zu verbessern. Die wichtigere Frage ist aber, welche Richtlinien für Reservisten gelten. Das Weiße Haus und das Pentagon haben die Genfer Konvention mit Füßen getreten. Da nützen auch zwei Wochen Reservistentraining nichts. Die Auszubildenden brauchen einen eindeutigen politischen Rahmen und eine Befehlskette, die keinen Spielraum für Interpretationen zulässt.

INTERVIEW: MICHAEL STRECK