Politik der Zunahme

DAS SCHLAGLOCH von VIOLA ROGGENKAMP

Wer will nachHorst Köhler noch Bundespräsident werden? Nun dürfte auch eine Frau ranDie Westfrauen haben alles falsch gemacht, auch Gesine Schwan. Immer die linken Männer retten wollen

Optimismus ist Pflicht! Horst Köhler, erster Prokurist im Staate

Und wann gibt es nun den Misstrauensantrag? Lässt Angela Merkel jetzt Gerhard Schröder stürzen? Werden SPD und Grüne bald wieder auf der Oppositionsbank sitzen dürfen? Oder müssen wir mit ihnen noch zwei Jahre durchhalten bis zur nächsten Bundestagswahl?

„Nach menschlichem Ermessen“, sagte Angela Merkel unlängst im „Humboldt-Forum Zeitfragen“ in Berlin, „sollte man erst einmal damit rechnen, dass wir zumindest nicht die Mehrheit haben, um die Mehrheit zu stürzen.“ Allerdings, sie sei „jederzeit bereit, Verantwortung zu übernehmen“, würde aber „die Oppositionsarbeit lieber auf die Klärung von Sachfragen konzentrieren, als jeden Tag darüber nachzusinnen, ob wir nun irgendwie ’ne Mehrheit, die wir nicht haben, einsetzen können. Aber wenn es so wäre“, jederzeit bereit sei sie, „den Schlüssel dazu haben nicht wir in der Hand, den hat die Regierung“.

Immer bereit. Das ist Angela Merkel. So kennen die CDU-Männer sie, Kohl, Rühe, Merz, Schäuble, sie war immer bereit, selbst Hand anzulegen. Doch jetzt? Wer macht ihr das jetzt? Wer stürzt ihr Gerhard Schröder? Sollen die SPD-Frauen den Bundeskanzler zur Vertrauensfrage zwingen und damit ausgerechnet der CDU-Frau den Weg ins Kanzleramt ebnen?

Das Gift erlittener Demütigungen wirkte stets lähmend auf SPD-Frauen, doch die Reihe der nach Rache dürstenden Klageweiber ist schier endlos: Inge Wettig-Danielmeier, Anke Fuchs, Herta Däubler-Gmelin, Ingrid Matthäus-Maier, Renate Schmidt, Heidemarie Wieczorek-Zeul, Christa Randzio-Plath … Aber ach, einen Genossen ausgerechnet zugunsten der CDU-Parteivorsitzenden zu killen? Was weiß denn Angela Merkel von Solidarität, von der so oft beschworenen Frauensolidarität gegen Männermacht? Nie hat sie die nötig gehabt, nie.

Der nächste Bundespräsident ist bestimmt eine Sozialdemokratin, ganz bestimmt. Wer will nach Horst Köhler noch Bundespräsident werden? Es ist wie mit jedem anderen Job auch. Ist der Arbeitsplatz erst einmal weniger wert, darf auch hierzulande eine Frau Karriere machen.

Ein Steuerberater ist Deutschlands Bundespräsident geworden, ein Finanzbeamter, ein Sparkassenpräsident, ein Direktor von Währungsunion und Währungsfonds, kurzum ein Mann, der gewohnt ist, nicht viel Worte zu machen, sondern mit gespitztem Bleistift Zahlen addiert. Ein Buchhalter, ab 1. Juli mit Prokura.

Sie wird ihm sagen, was er sagen soll, das Mädchen aus dem roten Osten, sie wird der erste Bundeskanzler als Frau. Zusammen wächst da, was zusammengehört. Sie hat ihn nach ganz oben gebracht, er bringt sie nach ganz vorne. Vereinigung auf höchster Ebene. Wie Felipe und Letizia. Horst und Angela, zwei deutsche Demokraten, immer paarweise, bescheidenes Grau, jeder seine Aktentasche.

Schneller, schlanker, effizienter wünscht Köhler sich die Firma Deutschland, vorwärts und stets vergessen. Er weiß, wie das geht, er hat Rechnen noch in der DDR gelernt. Und auch sie ist ein Kind der DDR. Dem Westen fehlte der Osten. Das sieht man jetzt. Die Frauen im Westen haben alles falsch gemacht, zuletzt noch Gesine Schwan. Immer die linken Männer retten wollen, immer zeigen wollen, dass frau auch als Frau – ja? was denn? na? – na, also.

Das überlasst jetzt mal Angela Merkel. Lasst doch endlich mal diese Frau nach vorn, die hat den Willen zur Macht. Neulich hat man das gesehen, wie sie Helmut Kohl springen ließ? Zum Auftakt des Europawahlkampfs ging er für sie aufs Podium. Er dient ihr noch als Europaochse. Im Fernsehen zeigten sie es, mehrfach, immer dieselbe Situation, obwohl die schon längst vorbei war und im wirklichen Leben nur einmal passiert ist, doch im Fernsehen immer noch mal. Sein Schnaufen und wie er nach Luft rang, seine herausquellenden Augen, seine schweißnasse Haut. Ich sah es im Hotelzimmer. Ich war auf Reisen. Im Hotel stelle ich immer als Erstes den Fernseher an. Ich habe zu Hause keinen mehr. Im Hotel will ich sehen, ob das Programm noch immer so schlecht ist.

Schlechter. Es ist noch schlechter geworden. Meinen Fernseher habe ich rausgeschmissen. Vor zehn Jahren. Ich wollte nicht länger Zuschauerin täglicher Folter sein müssen. Talk-Show, Krieg-Show, Porno-Show, Container-Show. Helmut Kohl schwitzend, dampfend, kurzatmig, noch kurzatmiger als einst Franz Josef Strauß. Helmut Kohl mit schwergängiger Zunge am Mikrofon, darunter die beflissen vorgereckten Hände von Angela Merkel: Applaus! Applaus! Und nach ihm sprach sie. Sie schien nicht in bester Form, irgendwie aufgedunsen. Die Politik macht was mit den Leuten.

Hat man schon mal einen Politiker gesehen, der an der Macht dünner geworden ist? Angela Merkel hat auch zugenommen, noch vor ihrer Kanzlerschaft mehrere Pfunde. Nur Westerwelle nimmt nicht zu, immer flink, immer hastig hechelnd. Trinken die Leute zu viel? Werden sie zu viel herumgefahren? Müssen sie so viel Platz einnehmen? Schlucken sie zu viel hinunter? War es nötig, Hans Filbinger an dieser Bundespräsidentenwahl teilnehmen zu lassen? Wie oft hat die SPD das schon geschluckt? Schon fünfmal.

Als Marinerichter der Nazis ließ Filbinger in den letzten Tagen vor Kriegsende noch Todesurteile aufsetzen und ausführen, wegen kleinster Vergehen, zum Beispiel wegen Mundraub. Wer mochte davon all die Jahre gewusst haben? Viele Männer und Frauen. Geschichte, das sind die Geschichten vieler Menschen. Endlich schrieb die Presse darüber, und Filbinger musste als Ministerpräsident zurücktreten. An Bundespräsidentenwahlen nahm er weiter teil. Warum empörten sich SPD und Grüne darüber diesmal? Warum nicht jedes Mal? Aber nun gut, wenigstens diesmal.

Warum also Hans Filbinger? Warum Michael Stich? Warum Jette Joop? Warum Gloria von Thurn und Taxis? Stich natürlich wegen der Sportler und Wolfgang Joops Tochter wegen der jungen Karrierefrauen, Gloria von Thurn und Taxis wohl wegen der Taxifahrer und Filbinger doch wahrscheinlich, damit sich die alten Nazis repräsentiert sehen konnten, und die jungen Nazis auch. Angela Merkel fand das völlig in Ordnung und konnte die Empörung über die Teilnahme des neunzigjährigen ehemaligen NS-Richters gar nicht verstehen.

Deutschland sei „ein Land mit einem hohen Bedarf an Harmonie“, hat Angela Merkel erkannt, und sie sagte es auf dem erwähnten Humboldt-Forum. „Aber die Einigung ist kein Wert in sich. Wenn man sich auf das Falsche einigt, kann sich die Sache wieder nach hinten bewegen.“

Angela hat sich mit Guido Westerwelle auf Bundespräsident Köhler geeinigt, den wir nicht mehr bloßstellen dürfen, weil ihn nun das höchste Amt bekleidet. Aber gegen Westerwelle dürfen wir noch. Der wird Deutschlands Außenminister sein, sobald Angela Merkel Kanzlerin ist. Das muss man sich mal vorstellen. Kann sich das außer Westerwelle überhaupt jemand vorstellen?