„Viele Arbeitslose packt das Grausen“

700.000 Joblose erhalten bald kein Geld mehr, weil der Partner noch etwas verdient, rechnet Experte Martin Künkler

taz: Herr Künkler, nächstes Jahr kommt das Arbeitslosengeld II. Sind die Erwerbslosen darauf vorbereitet?

Martin Künkler: Der Ansturm auf die Beratungsstellen ist riesengroß. Viele Arbeitslose packt das Grausen, wenn sie hören, wie niedrig das künftige Leistungsniveau sein wird: 345 Euro plus Miete. Auch die neuen Anrechnungsregeln für das Partnereinkommen sorgen für große Verunsicherung.

Werden dadurch viele keine Leistung mehr erhalten ?

Wenn künftig zum Beispiel ein Partner 1.200 Euro netto verdient und das Paar eine Miete von 400 Euro hat, dann fällt der arbeitslose Partner schon aus dem Leistungsbezug heraus. Die Absicherung der Langzeitarbeitslosen wird damit auf die Partnerschaft abgeschoben und privatisiert.

Wie viele Leute betrifft das?

Die Hartz-Kommission hat errechnet, dass etwa 30 Prozent der heutigen Arbeitslosenhilfe-Bezieher betroffen wären. Das wären nach den neuesten Zahlen 700.000 Leute. Es gilt ja nicht nur für Ehepaare, sondern auch für Lebensgemeinschaften.

Sollten sich Paare also künftig überlegen, ob sie eine gemeinsame Wohnung beziehen?

Es ist legitim, dass Paare in Lebensgemeinschaften darüber nachdenken, ihr Zusammenleben anders zu organisieren – ob man beispielsweise ein gemeinsames Konto führt oder vielleicht wieder auseinander zieht. Schließlich wird ein Leistungsanspruch, den es bisher gab, komplett vernichtet, wenn der Partner zu viel verdient.

Stimmt es, dass manche Erwerbslosen neuerdings durch die Gründung von Ich-AGs versuchen, den Abstieg ins Arbeitslosengeld II hinauszuzögern?

Das ist sicher eine Möglichkeit, jedenfalls, wenn die Unternehmensgründung keine Investitionen erfordert.

Wie funktioniert das?

Angenommen, jemand hat für ein Jahr einen Anspruch auf Arbeitslosengeld und von diesem Anspruch schon ein halbes Jahr verbraucht. Dieser Erwerbslose kann sich dann selbstständig machen und für ein halbes Jahr Überbrückungsgeld in Höhe seines Arbeitslosengeldes beziehen. Geht die Selbstständigkeit schief, kann er anschließend noch den Rest seines alten Anspruches auf Arbeitslosengeld verbrauchen und fällt dann erst in das viel schlechtere Arbeitslosengeld II. Diese Möglichkeit, die Anspruchsdauer faktisch zu verlängern, wollen wir unter Erwerbslosen noch bekannter machen.

INTERVIEW: BARBARA DRIBBUSCH