Prügel, Tritte und sexuelle Erniedrigung

Prozessauftakt in Hildesheim: Elf Schüler einer Berufsschule haben ihren Mitschüler monatelang gequält

HILDESHEIM taz Vom 18-jährigen Opfer abgesehen, ist es eine komplette Schulklasse, die sich seit gestern vor einer Jugendkammer des Landgerichts Hildesheim verantworten muss. In kleinen Gruppen soll die Klasse ihren Mitschüler getreten, geschlagen oder mit Kleidung geduscht haben. In dem Prozess gegen 11 Schüler aus einer mittlerweile aufgelösten Berufsschulklasse der Hildesheimer Werner-von-Siemens-Schule geht es um insgesamt 26 Einzeldelikte. Sie sollen den Mitschüler auch gezwungen haben, seinen Intimbereich für Aufnahmen zu entblößen. Szenen der Quälereien wurden von den Berufsschülern per Digitalkamera festgehalten, von ihnen selbst per E-Mail versandt und später von Medien allgemein verbreitet.

Dem gestrigen Geschehen im Hildesheimer Gerichtsgebäude, in dem die nicht öffentliche Verhandlung stattfand, haftete nichts Sensationelles an. Die Angeklagten machten den Eindruck normaler Jugendlicher: 16- bis 18-Jährige eben, in Jeans, mit kurzen gegelten Haaren und bedruckten Sweat-Shirts.

Das damals noch 17-jährige Opfer war erst verspätet im Herbst in die Klasse 03 B des Berufsgrundbildungsjahres gekommen. Die Misshandlungen des Neuen steigerten sich im Verlauf von fast drei Monaten. Nach der Anklage, die gestern Mittag verlesen wurde, soll das Opfer am Ende multiple Prellungen im Gesicht, am Brustkorb und an beiden Armen und zudem eine reaktive Depression erlitten haben.

Alle elf Angeklagten haben nach Angaben von Oberstaatsanwalt Albrecht Stange schon während der Ermittlungen Geständnisse abgelegt. Mindestens ein Angeklagter hat sich bei dem Opfer, das Mittwoch kommender Woche als Zeuge gehört werden soll, in einem Brief entschuldigt. Die Verteidiger anderer Angeklagter kündigten persönliche Entschuldigungen an.

Aufklärung über das Motiv könne man von dem Prozess nicht erwarten, sagte Rechtsanwalt Henning Sonnenberg, der einen der vier Hauptangeklagten vertritt. Sein Mandant, der vor vier Jahren aus Sibirien nach Deutschland kam, meine heute das Ganze sei „Scheiße“ gewesen, könne aber die Frage nach seinem Motiv nicht vernünftig beantworten. JÜRGEN VOGES