Vertrauen in die Parteien-Mafia

Mehr Bürgernähe oder Chaos in den Wahlkabinen: Der Volksentscheid am 13. Juni über ein neues Wahlrecht für Hamburg führt zu erregter Debatte über Demokratie im Handtuch-Format zwischen GAL und CDU/SPD in der Bürgerschaft

von Peter Ahrens

Selten waren SPD und CDU um die Demokratie so besorgt wie zurzeit. CDU-Fraktionsgeschäftsführer Frank-Torsten Schira hatte Heidenangst, dass „in den Wahlkabinen Chaos ausbricht“, und SPD-Bürgerschaftsvizepräsidentin Barbara Duden sorgte sich darum, „ob man den ehrenamtlichen WahlhelferInnen zumuten kann, einen solchen Wahlzettel auszuwerten“. Farid Müller (GAL) gab sich denn auch ironisch „begeistert über den Reformeifer, der hier plötzlich an den Tag gelegt wird“. Die Debatte um den Volksentscheid zum neuen Wahlrecht hat in der Bürgerschaft die Gegensätze zwischen den zur Abstimmung stehenden scheinbar ähnlichen Entwürfen deutlich gemacht.

Es geht um viel für die Abgeordneten am 13. Juni, und das merkte man. Dabei setzten CDU und SPD auf das Argument, das sie stets im Munde führen. Das Modell der Volksinitiative, das die Verteilung von bis zu fünf Stimmen auf einen oder mehrere Kandidaten vorsieht, sei zu kompliziert, „nicht transparent genug“, wie Schira anmerkte. Zur visuellen Unterstützung hatte er den handtuchgroßen Entwurf eines Wahlzettels nach dem Initiativen-Modell mitgebracht.

Und SPD-Fraktionschef Michael Neumann meldete sich zwar in der Debatte nicht zu Wort, hatte aber genug damit zu tun, stets mit dem vermeintlich überdimensionierten Zettel herumzuwedeln. „Für Experimente ist eine Wahl zu wichtig“, argumentierte Schira, und Duden war der Ansicht: „Demokratie ist keine intellektuelle Spielwiese.“

Die GAL steht mit ihrem Engagement für den Entwurf der Volksinitiative allein im Parlament, und so erkannte Müller in dem Gegenmodell der Bürgerschaftsmehrheit eine „hektische Notbremse“, um eine wirkliche Reform zu verhindern. Sein Fraktionskollege Willfried Maier konnte gar nicht verstehen, warum sich SPD und CDU gegen den Volksinitiativen-Entwurf sträuben, denn letztlich sei er auch in ihrem Interesse: „Wir haben doch das gemeinsame Problem, dass sich das Vertrauen der Menschen in die Parteipolitik knapp über dem in die Mafia bewegt.“

Dass Bürgermeister Ole von Beust (CDU) zuletzt nur ein Mitglied der CDU-Fraktion in den SenatorInnenrang erhoben habe, „zeigt doch wohl“, so Maier, „dass auch er der Ansicht ist, dass durch das bisherige Verfahren offenbar nicht die optimale Auswahl im Parlament landet“. Es verfestige sich der Eindruck, ergänzte Müller, dass die großen Parteien „sich vor allem um den eigenen Machterhalt sorgen“.

Das erweckte bei SPD und CDU die Beißreflexe: „Populismus pur“ habe Maier gepredigt, wetterte Viviane Spethmann (CDU). GAL und die Volksinitiative „gaukeln mit ihrem Modell etwas vor, was sie gar nicht gewährleisten können: Bürgernähe“, gab sie tiefe Einblicke ins parlamentarische Selbstverständnis. Und Uwe Grund (SPD) attestierte der GAL nichts anderes als eigensüchtige Motive: „Sie schwingen die Fahne der Demokratie, dabei wollen Sie doch nur selbst absahnen“, so Grund mit Hinblick darauf, dass kleine Parteien von einem neuen Wahlrecht profitieren könnten.

Grund, selbst Süddeutscher, erinnerte zudem daran, dass bei Wahlen in Baden-Württemberg „der Prozentsatz der ungültigen Stimmen so hoch ist wie der der FDP bei der vergangenen Bürgerschaftswahl“. Aber das heißt ja nicht viel.