: Keramik enthemmt
Waldmeister oder Erdbeer? Mirjam Veldhuis bestückt eine Wunderkammer im Gerhard Marcks Haus
Ob Greifenklaue oder Straußenembryo, Uringlas oder Reliquiar – so mancher Barockfürst sammelte einfach alles, was ihm an Kuriositäten in die Finger kam. Die niederländische Künstlerin Mirjam Veldhuis hat den Pavillon des Gerhard-Marcks-Hauses nach dem Vorbild der barocken Wunderkammer bestückt: Ihre eiscremebunt glasierten Keramikarbeiten erinnern an alle möglichen exotischen Formen.
Die Welt unter Wasser fällt einem älteren Keramikfan gleich ein, der sich unversehens in das Pressegespräch verirrt hat. Filigrane Netze breiten sich wie Korallen aus, pralle Formen prangen wie Seeanemonen. Über solche Assoziationen freut sich die Künstlerin und staunt. Unter Wasser war sie noch nie, beteuert sie. „Aber die Tonwülste krümmen sich wie Schlingpflanzen in der Strömung“, insistiert der Besucher. Aber nein, zu den waldmeistergrünen Tentakeln hat eine chinesische Jadeskulptur die Künstlerin inspiriert.
Auch Stapelmännchen aus dem Kinderbaukasten oder Pilze aus der Schlumpfenperspektive betrachtet könnten einem einfallen - ganz egal. Mirjam Veldhuis Keramik sei „angenehm unbeherrscht“ und von Zufällen im Entstehungsprozess geleitet, kommentiert Kurator Arie Hartog: „Ein Schritt zu einer Bildhauerei ohne Form.“ Die technische Umsetzung jedoch plant die Künstlerin ganz genau. Dabei orientiert sie sich an der Weisheit ihrer Lehrer an der Groninger Academie Minerva - um dann genau das Gegenteil zu tun. Guss-Ton soll nach Lehrmeinung nicht mit formbarem Ton kombiert werden? Dann erst recht! Das scheckige Ergebnis nennt sie mit nicht minder dick aufgetragenem Understatement „dreckiger Hund“. Doch braucht es schon einen Fachmann wie den so interessierten wie ungebetenen älteren Herrn, um all die technischen Finessen zu erkenen. „In meinem Ofen würde ich das nicht hinkriegen“, räumt er ein.
„Das Gerhard-Marcks-Haus hatte bisher ein gehemmtes Verhältnis zur Keramik“, bekennt Arie Hartog. Mirjam Veldhuis aber sei eine Künstlerin, die über der mit dem Ruf des Kunsthandwerklichen behafteten Technik stehe. Nach einem Ausflug zum Bronzeguss ist Veldhuis wieder zu ihrem gelernten Metier zurückgekehrt. Sie hat gern „alles im Griff“, begründet sie das: sowohl jeden Arbeitsschritt, was beim Gießen nicht möglich sei, als auch das fertige Werk: „Ich trage meine Skulpturen gerne.“ Ein so physisches Verhältnis zur Kunst findet selbst der fachsimpelnde Herr noch: „Erstaunlich!“
Annedore Beelte
Bis 11. Juli
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