: Der Fotograf der Luftbrücke
US-Militärfotograf Henry Ries kehrte 1945 in seine Geburtsstadt Berlin zurück, aus der er vor den Nazis geflohen war. Hier dokumentierte er die Nachkriegszeit – und schoss das Foto, das Sinnbild der Luftbrücke wurde. Nun ist er 86-jährig gestorben
VON ULRICH CLEWING
Eigentlich war Henry ein blonder, blauäugiger Heinrich, geboren 1917 in Berlin, aufgewachsen in gutbürgerlichen Verhältnissen in der Charlottenburger Meinekestraße. Doch dann wählten die Deutschen die Nazis an die Macht, die Jagd auf alles Jüdische begann, und als er zwanzig war, bekam er es mit der Angst zu tun. Unter dramatischen Umständen – die US-amerikanische Einwanderungsbehörde hatte ihn beim ersten Versuch zurück nach Deutschland geschickt – gelang ihm im Januar 1938 die Flucht nach New York. Sieben Jahre später kehrte Henry Ries als Militärfotograf in seine Geburtsstadt zurück und machte dieses eine Foto, mit dem er weltberühmt werden sollte: Eine Gruppe Kinder auf einem Schutthaufen winkt einem Flugzeug zu, einem amerikanischen Bomber, zum zivilen Transporter umfunktioniert, kurz vor der Landung auf dem Flughafen Tempelhof.
Das Foto wurde zum bekanntesten Sinnbild der Berliner Luftbrücke, ein Dokument und Propagandamittel erster Güte, tausendfach abgedruckt in Zeitungen, Bildbänden und Schulbüchern. An diesem besonderen Tag im Juli 1948 war Ries als einziger Fotograf in Tempelhof, er kannte die Flugpläne und war fest entschlossen, ein Bild zu machen, wie kein anderer es konnte.
Da arbeitete Ries bereits eine Weile als Fotojournalist, für Life und die New York Times. Gerade seine Berliner Fotos gehören zu den besten der Nachkriegszeit überhaupt. Aber auch jene, die er aus Italien oder dem Spanien Francos mitbrachte, sind herausragend in ihrer Mischung aus menschlicher Empfindung, Dramatik und Banalität. Nach dem Krieg war Ries oft in Berlin, anrührende Fotos sind hier entstanden, etwa das des weinenden Paars beim Wiedersehen mit emigrierten Juden aus Schanghai im August 1947, dem Ries den Titel „Berlin. Wiedersehen nach zehn Jahren“ gab. Oder auch jenes Bild, das den gesprengten Bunker am Zoo zeigt – ein überdimensionierter Betonkoloss mit Schlagseite, hilflos wie ein Wal am Strand, auf dem die Menschen herumwandern wie die Ameisen.
Weniger bekannt, aber vielleicht am ergreifendsten ist jedoch Ries’ Porträtserie, die er in dem nur in den USA erschienenen Buch „German Faces“ veröffentlichte. Von der Neugier getrieben, was seine früheren Landsleute nach zwölf Jahren NS-Zeit dachten, fing er zuerst wahllos, dann systematisch an zu fotografieren, in Berlin, im Ruhrgebiet, in Oberbayern. In einem Interview wurde er einmal gefragt, wie er es geschafft habe, den Leuten ohne Vorurteile gegenüberzutreten. „Verurteilt habe ich niemanden“, erwiderte Ries, „ich ließ sie sich selbst verurteilen.“
Am Montagabend ist Henry Ries im Alter von 86 Jahren in seinem Haus im Bundesstaat New York gestorben.
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