Das Wort zum Sonnabend
: Kategorie Kolumne

Tief eingetaucht ist Kristo Šagor in Bremens Mix aus Nordischem und Klein-Berlin. Der Jungdramatiker war bis Mai Hausautor am Bremer Theater. Für die taz holt er immer noch Perlen aus dem hanseatischen Schlick.

Mit der Zeit habe ich einen Blick entwickelt für die Momente, die Inhalt einer Kolumne sein können, für solche, die knapp daran vorbeischrammen und solche, die nicht in Frage kommen. Die Kolumnisierung meines Blickes auf Alltag, Passanten und Ereignisse bedeutet Erotisierung und Entfremdung zugleich, bedeutet, intensiver in der Situation zu stehen und trotzdem völlig von ihr ausgeschlossen zu bleiben.

Der Protagonist und Titelheld von Max Frischs Roman Homo faber, läuft immer mit seinem Photoapparat durch die Welt, allzeit bereit, ein Bild zu machen. Der fetischisierende Blick des Überlieferers, Festhalters reißt ihn aus der Echtzeit und macht ihn zum Ästhetisierer, Nurbeobachter. Für ihn bedeutet es schließlich Befreiung und Aktivierung, die Kamera einmal aus der Hand zu legen, um ganz in der Situation zu stehen, als ganze Person Handlungen zu vollziehen und sich und die anderen nicht nur von außen zu betrachten.

Ich habe in all den Monaten in Bremen erstaunlich wenige Photos gemacht. Mehrmals lag die Kamera zu Hause, wenn ich dachte: Jetzt könntest du, ach Mist, du hast das Ding nicht mitgenommen. Meinen Kopf hatte ich leider immer dabei und geriet so regelmäßig neben die Situation, indem ich sie auf ihre Kolumnentauglichkeit überprüfte und gegebenenfalls Notizen machte. Der Popstar, Filmstar, Weltenbummler, Pressekonferenzengeber lebt einen Idealzustand vor, der die bei Max Frisch skizzierten Gegensätze aufhebt, indem er sie vereint.

Wenn ich mein Ego weite und meinen photographischen Blick zum allgegenwärtigen Gesetz erhebe, wenn ich also Kamera werde, als ganzer Mensch im Photographieren aufgehe, gerate ich nicht neben mich, sondern bleibe in mir. Das setzt voraus, dass mein Umfeld, Passanten und Freunde, sich auf dieses Rollenspiel, diese Wandlung einlassen.

Der Popstar, Filmstar, Weltenbummler, Pressekonferenzgeber wird bei jeder Äußerung, die er macht, aufgezeichnet, mitgeschnitten. Alles, was er von jetzt an sagt, kann und wird vor Gericht gegen ihn verwendet werden. Von ihm wird eine ständige Überhöhung, Zuspitzung, Sentenzenhaftigkeit seiner Äußerungen erwartet.

Wenn es mir gelingt, in das enge Fenster zwischen Handlung und Reflektion zu schlüpfen, in dem beide miteinander verknüpft sind, wenn es mir gelingt, mich dem Flow hinzugeben, kostbare Gedanken und sonderbare Verdichtungen zu erkennen, um trotzdem in ihnen stehen zu bleiben, werde ich mein höheres Selbst. Hart am Wind, und die Pinne surrt in meiner Hand. Kristo Šagor