„Ohne die Hilfe wäre ich schon tot“

Urlaubsfahrten, Geborgenheit, Selbstbewusstsein: Die Aids-Hilfe bietet ihren Klienten weit mehr als nur Gesundheitsbetreuung. Wenn sie schließt, verlieren die einen ihr Zuhause, die anderen womöglich ihr Leben

„Der größteSpareffekt wäre, dass die Leute früher sterben“

taz ■ Es fällt schwer, die zwei Zimmer, in denen Jürgen C. zuletzt gelebt hat, als Wohnung zu bezeichnen. Die ehemals weißen Wände sind gelb-braun verfärbt, auf dem Teppich sammeln sich Dreck und Spritzenhüllen. In der kleinen Kochecke stehen alte, von Schimmelpilzen überwucherte Töpfe. Seit einem halben Jahr stehen die Räume in Bremen-Kattenturm leer. Jürgen C. liegt im Krankenhaus, sein Kokainkonsum hat eine schwere Bakterieninfektion verursacht. Wenn er zurückkehrt, wird der Aids-Kranke ein wohnlicheres Zuhause vorfinden. Denn zur Zeit streicht Bernd M., auch er hat Aids, Wände und Türen und verlegt neuen Teppichboden.

Die Idee zur Verschönerungsaktion hatte Matthias Gebing, Sozialarbeiter bei der Aids-Hilfe. Er würde das Renovierungsprojekt gern ausweiten, aber im Moment weiß niemand, wie lange es die Aids-Hilfe noch geben wird. Vor zwei Wochen beschloss die große Koalition, den jährlichen Zuschuss von nur 160.000 Euro zu streichen. „Und bis jetzt hat niemand mit uns gesprochen“, sagt Geschäftsführer Thomas Fenkl. Beratung, Prävention und das Betreute Wohnen wird es dann nicht mehr geben.

Für die Klienten wäre das eine Katastrophe. Rüdiger Weber hat Angst vor der Zeit danach. Vor etwa acht Jahren brach die Krankheit bei dem heute 46-Jährigen aus, seit 1999 lebt er im betreuten Wohnen. Die Sozialarbeiter haben ihn dabei unterstützt, verwalten sein Geld und begleiten ihn zum Arzt. Seit Jahren kommt Weber jeden Morgen zur Aids-Hilfe am Sielwall und kümmert sich um alles, was anfällt: Abwaschen, Kaffeekochen, Reparaturen und Botengänge. Vor einem halben Jahr haben die Mitarbeiter ihm einen Wellensittich geschenkt, auch für das Tier sorgt Rüdiger Weber mit Begeisterung. „Das hier ist mehr als ein Zuhause für mich“, sagt der hagerere Mann, „es ist ein Stück meines Lebens.“ Rüdiger Weber weiß nicht, wohin er gehen soll, wenn die Aids-Hilfe schließen muss. Wie ihm geht es vielen anderen, die dann auf verlorenem Posten stünden.

Die Aids-Beratung des Rat- und Tatzentrums wendet sich vor allem an Schwule und Lesben, und das Gesundheitsamt ist eine Behörde – das schreckt Menschen, die mit dem Gesetz auch schon mal auf Kriegsfuß stehen, ab. Außerdem hätten die Ärzte dort wenig Zeit, sagt Gebing. „Die machen die Tests, danach gibt es noch ein paar Gespräche, und dann war’s das.“

Auch gemeinsame Urlaubsfahrten, wie sie die Aids-Hilfe anbietet, kommen im Katalog des Gesundheitsamtes nicht vor. Im Treppenhaus der Aids-Hilfe hängen die Fotos der vergangenen Fahrten. Der Sozialarbeiter Gebing deutet auf einen Bilderrahmen. „Von dieser Gruppe ist niemand mehr am Leben“, sagt er. Viele aber wären ohne die Aids-Hilfe erst gar nicht so alt geworden. Auch Rüdiger Weber ist überzeugt: „Ohne die Hilfe, die ich hier bekommen habe, wäre ich schon tot.“ Gebing wird sarkastisch, wenn er an das mögliche Ende der Einrichtung denkt: „Der größte Spareffekt wäre, dass die Leute früher sterben.“

Jürgen C., der Mann aus Kattenturm mit demnächst renovierter Wohnung, hat im Krankenhaus von der geplanten Schließung der Aids-Hilfe erfahren. Er schrieb ad hoc einen verzweifelten Brief an die Sozialarbeiter: „Ich weiß nicht, wie es weiter gehen soll. Die Aids-Hilfe gab mir ein Gefühl, ein Zuhause zu haben und als Mensch wertvoll zu sein und wieder Freude am Leben zu haben. Ich fühle mich, als wird mir mein Zuhause genommen.“

Steffen Hudemann