Lieblingsstrände
: Steinig

Um sich in der Welt zurechtzufinden, hat jeder ein Set von Prototypen im Kopf: eine Protokirche, einen Protobriefträger, einen Protostrand: kindliche Erst- und Urerfahrungen, die uns befähigen, wann immer wir eine Kirche, einen Briefträger oder einen Strand sehen, diese auch als solche zu erkennen. Es ist anzunehmen, dass diese Urerlebnisse mitbestimmend dafür sind, ob wir Briefträger mögen, Kirchen nur mit Zwiebelturm ernst nehmen und welche Strände wir bevorzugen.

Ich mag felsige Strände. Die flachen, sandigen, wie sie in den frühen 60er-Jahren an der Adria um Rimini herum entstanden, mag ich nicht. Als ich die kennen lernte, hatte ich meinen positiven Protostrand gottlob schon gefunden – gegenüber an der Küste von Istrien, irgendwo bei Rovinj, auf einer Insel, die Santa Catarina hieß. Wir wohnten in Steilwandzelten in einem Pinienhain, und es gab Halbpension – zumeist „Faschiertes“, wie man Hackfleisch dort nannte. Das gute alte Tito-Jugoslawien, damals auf der Suche nach einem dritten Weg zum Sozialismus, schickte sich an, dem Teutonengrill eine sozialistisch-steinige Variante gegenüberzustellen. Was leicht fiel, da die Ostküste der Adria bekanntlich weitaus felsiger ist als die Küste drüben am Stiefel.

Genau das aber war es, was mich 13-Jährigen für diese Küste einnahm. Der Strand von Santa Catarina bestand vor allem aus wunderbaren Felsen und Felsvorsprüngen. Die kletterte ich zwei Wochen lang hoch, um dann von oben kopfüber in die Adria zu springen. Während auf den anderen Felsvorsprüngen einheimische Mädchen saßen, die mich dafür bewunderten – jedenfalls bildete ich mir das ein. Was kann ein Strand mehr bieten?

Mein istrischer Dritter-Weg-Felsenstrand ist mein Protostrand geblieben. Denn es ist einfach schöner, sich vom Felsen zu stürzen, als sich in den Sand zu setzen. Vielleicht gilt das auch für den Sozialismus.

THOMAS PAMPUCH