: Smoke on the Glatze
Draußen steigt die Flut, drinnen kocht das Blut: Frank Black und Robocop Kraus kämpfen mit 80er-Nostalgie gegen die Naturgewalten
Unter dem bleigrauen Himmel über der Breminale macht sich Endzeitstimmung breit. Heftige Regenfälle und ungünstige Windverhältnisse lassen die Flut heute Abend stärker steigen als gewohnt.
Der Fußgängerweg entlang der Weser ist bereits überflutet. Als nächstes sind die Stromkästen dran. Gespannt warten die Veranstalter den letztmöglichen Zeitpunkt ab, die Stromversorgung des Open Airs zu unterbrechen. Um 19.17 Uhr wird die Flut ihren Scheitelpunkt erreichen. Jetzt ist es halb sieben.
Die ersten Standbetreiber bringen ihre Auslagen in Sicherheit. Während der ein oder andere Besucher nach den ersten Bundeswehrhubschraubern mit den Sandsäcken Ausschau hält, machen zwei Ruderbootkapitäne das Beste aus der Situation: gut gelaunt paddeln sie von der Weser zu einer vom Wasser eingeschlossenen Würstchenbude und nehmen ein Stück flussabwärts noch Bier mit an Bord. Man kennt das ja. „Die Breminale ist anscheinend die einzige Großveranstaltung, die in der Lage ist, das Wetter zu beeinflussen“, vermutet eine junge Besucherin. „Egal, wie es vorher war: Hier regnet es garantiert.“
Den feuchten Kuss des Nordens trinkt man sich mit kühlem Bier schön. Und den Rest erledigt das musikalische Programm am Freitagabend. Schwerpunkt: die guten alten 80er. Heute Abend gibt es nichts Schöneres, als in der wohligen, trockenen Wärme der großen Zelte in Erinnerungen zu schwelgen.
Allein mit seiner akustischen Westerngitarre und seiner quäkigen Stimme betritt Frank Black, ehemaliger Chef der Bostoner Independent-Legende The Pixies, die Nordwestradio-Bühne. Statt der krachigen Gitarrenriffs, für die seine alte Band bis heute kultisch verehrt wird, gibt es jetzt unaufgeregte Akustik-Songs übers Krabbenfischen.
Die Hälfte seines Repertoires speist sich aber nach wie vor aus alten Pixies-Klassikern, die von der Menge frenetisch gefeiert und mitgesungen werden. Obwohl der jugendliche Dilettanten-Charme in diesen Neuinterpretationen einer gesetzten, schweren Reife gewichen ist. „Für irgendwas muss das Altwerden ja gut sein“, wird Christian, Kulturwissenschaftler aus Bremen, klar. Er ist letzte Woche 32 geworden.
Während der Indie-Urvater Black mit dampfender Glatze und mit einer Würde von Johnny-Cash-Ausmaßen die 80er Jahre ins Jetzt transportiert, gehen ein paar junge Spunde auf der Flutbühne den umgekehrten Weg. The Robocop Kraus aus Bayern geben sich mit ihrem New Wave-Sound zwischen Television, den Stranglers, Devo und Style Council dem Retrofieber hin. „Relax – we’re trying to help you!“ beruhigt der Sänger.
Das ist nett! Und wer mag bei soviel stilecht inszeniertem nostalgischem Charme noch an seine nassen Füße denken?
Till Stoppenhagen
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