: Ikone des Discohits
Gibt es einen Haushalt, der keine Greatest-Hits-Platte von Barry White sein Eigen nennt? Am vergangenen Freitag starb der Soul-Bass in Los Angeles
von TOBIAS RAPP
Es war ein denkwürdiges Konzert, als Barry White im Herbst 1999 bei seiner letzten Deutschland-Tour in Berlin spielte. Er trug einen grünen Glitzeranzug, und wenn er sich bewegte, dann nur äußerst langsam. Ein nachlässiger Wink zum Love Unlimited Orchestra, das in voller 30-köpfiger Besetzung hinter White auf der Bühne platziert war, ein Griff in die Anzugtasche, um ein weinrotes Seidentaschentuch hervorzuziehen, mit dem er sich den Schweiß von der Stirn tupfte, ein paar gravitätische Schritte zur Seite. Da saß man, unter achttausend Parfümerieverkäuferinnen und kleinen Angestellten, der Berliner Zuhälteradel verteilte sich mitsamt seinen Frauen in einiger Entfernung über die teuren Plätze im Parkett.
Gibt es einen Haushalt, der keine Greatest-Hits-Platte von Barry White sein Eigen nennt?, fragte man sich. Und während einem eben jene Stücke in ihrer zeitlosen Großartigkeit Schauer den Rücken herunterlaufen ließen, blickte man sich um und konnte das gleiche Glück auf den Gesichtern aller leuchten sehen. „You’re special people“, brummte Barry White, während die Streicher langsam mit dem Intro zu „It’s Ecstasy When You Lay Down Next To Me“ begannen, „people like me, people who love music“.
Geboren wurde Barry White 1944 in Texas, schon bald zog er jedoch mit seiner Mutter und seinem Bruder nach Los Angeles. Man kann sich den jungen Barry White als einen begabten Soulboy aus schwierigen Verhältnissen vorstellen, wie sie in den Sechzigern zu Dutzenden versuchen, irgendetwas auf die Beine zu stellen.
Er spielte Klavier, schrieb Songs, manchmal sang er, zwischendrin hatte er Ärger mit dem Gesetz. 1960 musste er wegen Diebstahls von ein paar Autoreifen für einige Monate hinter Gitter. Als er aus dem Gefängnis kam, fing er an, für diverse kleine Soullabels in Los Angeles zu arbeiten. Er managte Gruppen, arbeitete als A&R-Mann, schrieb Arrangements, etwa für „Harlem Shuffle“ von Bob & Earl, ein Stück, das später für die Rolling Stones ein Hit werden sollte, und manchmal sang er auch selbst, allerdings ohne größeren Erfolg.
In seiner Autobiografie „Love Unlimited“ erzählt White die Anekdote, wie er 1963 während einer Tour durch die amerikanischen Südstaaten von einer Telefonzelle irgendwo in Alabama aus versucht, zu Hause in Los Angeles anzurufen. Doch daraus wird nichts. Wenige Minuten nachdem er das Fräulein von der Telefonvermittlung „Baby“ genannt hat, umstellen Polizisten die Telefonzelle, zerren ihn heraus und drohen ihm mit dem Gefängnis, sollte er nicht sofort verschwinden. Zehn Jahre später konnte er mit dieser Masche Millionen von Platten verkaufen.
1973 hatte er mit „I’ve Got So Much To Give“ seinen ersten Millionenseller, und auch wenn sein Erfolgsrezept von langsamen Soul-Epen mit opulenten Streicherarrangements sich nicht mehr großartig verändern sollte, so war er noch nur ein Künstler unter vielen, der sich am sinfonischen Breitwandsoul von Isaac Hayes orientierte, die Hayes’sche Künstlerpersona des schwarzen Überpimps übernahm er allerdings gleich mit. Es war die Disco, die Barry White entdeckte und nicht umgekehrt. Als die DJs der New Yorker Schwulenläden 1974 begannen, „Love’s Theme“ von seinem nächsten Album rauf- und runterzuspielen, war es Whites Promoter, der ihnen die Promoexemplare der eigentlich schon gefloppten Platte buchstäblich aus dem Plattenfirmenkeller heraufreichte. „Love’s Theme“ wurde einer der ersten Discohits.
Doch es waren nicht nur seine Musik und sein Geschäftssinn, die Barry White eine einmalige Serie von Hits bescherte – er habe sich von dem Geld seines ersten Millionenhits keinen Cadillac, sondern einen guten Anwalt gekauft, sagte White später. Ein kluger Mann. Ein Mann also, dem die Frauen vertrauten. Es dürfte tatsächlich niemanden geben, der so überzeugend „Baby“ brummen konnte wie Barry White.
Wenn er „Playing Your Game, Baby“ sang, handelte das genauso von willentlichem Kontrollverlust wie von dem Wissen, dass Liebe eben ein Spiel ist, das man spielen kann, wenn man die Regeln kennt. Wenn er sang „Your Sweetness Is My Weakness“ dann war dieses Eingeständnis von Schwäche natürlich gleichzeitig ein Zeichen von Stärke. Wenn es hieß „Can’t Get Enough of Your Love, Babe“ oder „You’re the First, the Last, My Everything“, so waren das nicht nur Hymnen, mit denen er sich einer Frau zu Füßen legte, es war genauso der postkoitale Pillowtalk eines Sugardaddy, der weiß, welches Süßholz man in das Ohr einer Frau raspeln sollte.
Als solcher überlebte White dann auch die einigermaßen disco- und liebesfeindlichen Achtziger. Als elder statesman des Schlafzimmersoul kehrte er in den frühen Neunzigern zurück, eine Ikone wie nur wenige neben ihm. Dass Fernsehserien wie „Ally McBeal“ oder die „Simpsons“ Barry White zum integralen Bestandteil ihrer Zeichensysteme machen konnten, war dann auch keine Wiederentdeckung, es reflektierte lediglich den Status quo.
Gibt es einen anderen Künstler, zu dessen Musik man unter Umständen gezeugt worden ist und der trotzdem oder gerade deswegen sowohl von Robbie Williams als auch von 50 Cent, von Daft Punk und den Beastie Boys gesampelt worden ist?
Seit einiger Zeit gab es Gerüchte über Barry Whites sich verschlechternden Gesundheitszustand, im vergangenen September wurde er in ein Krankenhaus eingeliefert, im Mai erlitt er einen Schlaganfall. Er war Dialysepatient und soll auf eine Nierentransplantation gewartet haben. Am vergangenen Freitag ist er in Los Angeles an Nierenversagen gestorben. Er wurde 58 Jahre alt.
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