nebensachen aus bukarest
: Rumäniens Regierung plant einen Dracula-Park nahe dem Snagov-Kloster

Die Klage des Mönchs

Vater Emilian ist Mönch. Er rutscht nervös auf seinem Stuhl hin und her. Der knarrt und ächzt aus allen Fugen, weil Vater Emilian zirka zweieinhalb Zentner wiegt. „Zum Teufel noch mal, heutzutage ist alles verdorben bis ins Mark!“, flucht Vater Emilian vor sich hin. Seine Brille mit den dicken, getönten Gläsern sitzt schief. „Ana, bring mir noch ein Gläschen!“, schreit er und bekreuzigt sich.

Vater Emilian ist 53 und seit sechzehn Jahren Abt in einem Kloster am Rande der rumänischen Hauptstadt Bukarest. Das Kloster liegt auf einer Insel im Snagov-See. Außer Vater Emilian leben in dem Kloster noch eine alte Nonne und Ana, die Haushälterin. Ana wiegt zirka zwei Zentner und hat Arme wie Baumstämme. Die einzige Verbindung zur Außenwelt besteht in einem kleinen Boot, mit dem Ana über den See rudert. Wer das Kloster und Vater Emilian besuchen will, der muss vom anderen Ufer herüber schreien: „Ana, das Boot!“ Wenn der Wind schlecht steht oder Ana im Keller zu tun hat, dauert es, bis sie das Schreien hört.

Das Snagov-Kloster ist berühmt, weil hier vor ungefähr fünfhundert Jahren Dracula begraben worden sein soll. Oder besser gesagt, derjenige, den sich der irische Schriftsteller Bram Stoker im Jahre 1897 zum Vorbild für seinen Bestseller „Dracula“ auserkoren hatte: der walachische Wojewode Vlad Tepes, zu deutsch Vlad der Pfähler.

Vlad der Pfähler hat seine Feinde zu tausenden aufgespießt. Er ist in Rumänien ein Nationalheld, weil die Jahre, in denen er regierte, angeblich diejenigen in der rumänischen Geschichte waren, in denen es im Land keine Korruption und keinen Diebstahl gab und in denen Ordnung herrschte. Das war um 1460. Nostalgisch erzählen die Leute im Land von der Regierungszeit des Pfählers. Sämtliche Schulkinder können die legendären Zeilen des Nationaldichters Mihai Eminescu aus seinem berühmten Gedicht „Dritter Brief“ von 1881 zitieren: „Ach, Pfähler!, kämest du doch …!“

Als das Grab des Pfählers im Snagov-Kloster in den Dreißigerjahren geöffnet wurde, war es einfach leer. Kein einziges verstaubtes Knöchelchen fanden die Historiker. Heute steht ein Bildnis des Pfählers an dessen Grab. Vlad starrt aus kalten, leeren Augen. Vor 23 Jahren wurde mit der Renovierung der Klosterkirche begonnen. Der Turm ist fertig, für den Rest kein mehr Geld da.

Vater Emilian regt sich auf: „Unter Ceaușescu herrschte Ordnung, es sind wenigstens Touristen hergekommen, auch ausländische, manchmal mehrere Boote am Tag. Ich konnte Französisch sprechen, und wir haben von den Spenden gelebt. Heute lässt sich wochenlang niemand blicken. Seit drei Monaten kann ich die Stromrechnung nicht mehr bezahlen. Verflucht!“ Draußen blöken Schafe. Vater Emilian zündet sich noch eine Zigarette an.

Der Tourismusminister will am Snagov-See einen riesigen Dracula-Vergnügungspark bauen lassen und damit ausländische Gäste anlocken. So könnte der Tourismus im Land angekurbelt werden, träumt der Minister, es käme auch harte Währung ins Land, außerdem könne man den Leuten aus dem Westen erklären, wer Vlad der Pfähler wirklich war: zwar ein grausamer, aber unbestechlicher und gerechter Herrscher.

Den Plan mit dem Dracula-Park gibt es jetzt schon seit über zwei Jahren. Nichts, gar nichts ist daraus geworden. Die Leute, die im Glauben an den guten Namen des Pfählers Dracula-Park-Aktien gekauft haben, fühlen sich betrogen und wollen ihr Geld zurück.

Vater Emilian regt sich auf: „Ja, ja, ich hab’s in den Talk-Shows gehört, die ich abends immer gucke, um mir diese Banditen von Politikern anzusehen, zum Teufel! Dieser Dracula-Plan ist eine Verzerrung unserer Geschichte! Und überhaupt, was, wenn plötzlich Horden von ausländischen Touristen in unser Kloster einfallen oder nachts Feuerwerke abgebrannt werden?! Dann ist unsere ganze schöne Ruhe dahin!“ Vater Emilian fuchtelt mit seinem Stock in der Luft umher. „Ana, bring mir noch ein Gläschen“, schreit er und bekreuzigt sich. KENO VERSECK