All you can eat

Manche Suppe besteht aus Buchstaben: Die Berliner Künstlerin Antje Dorn zeigt bei Barbara Wien „Imbisse“. Die Zutaten ihrer Malerei liegen vor einem wie ein aufgeklappter Wellness-Burger

VON OLIVER KÖRNER VON GUSTORF

Es ist so eine Sache mit dem Essen. Gelegentlich vergeht schon bei der Ankündigung die Vorfreude auf den Genuss. Wer kennt sie nicht, die Schilder an Landstraßen in abgelegenen Käffern mit Aufschriften wie „Kartoffel zu verkaufen“, oder Tafeln vor Dönerstationen, die zu „Spaghetti Bolonese“ einladen. Bei ihrem Anblick erinnert man sich daran, dass Buletten aus Hackfleisch und Worte aus Buchstaben gemacht sind, dass Wände aus Backsteinen und Zement bestehen und der hungrige Magen in ein Korsett aus Fleisch und Knochen eingeschnürt wird. Das Leben erscheint als Hohlraum, den es zu füllen gilt. Wir müssen essen, und wir müssen sterben, und alles, was von der Verheißung einer Mahlzeit bleibt, sind flüchtige Eindrücke von Zahlen, Zeichen und Farben, flackernde Neonschriften an Autobahnausfahrten oder die leuchtend gelben Doppelbögen eines M.

„Imbisse“ heißt die Ausstellung der 1964 geborenen Berliner Künstlerin Antje Dorn, die nun in der Galerie Barbara Wien in Mitte zu sehen ist. Wie bei den Schriftzügen auf Frittenbuden oder in Einkaufspassagen geht es hier nicht um den verfeinerten Genuss, sondern um die scheinbar einfachen Verheißungen und Assoziationen die Labels, Signets und Markenzeichen auslösen. „The Medium is the message“: Fast scheint es, als habe Dorn den berühmten Ausspruch des amerikanischen Medientheoretikers Marshall McLuhan auf den Kopf gestellt. Bei ihr ist nicht die Verpackung die Botschaft, sondern die Botschaft die Verpackung selbst: Den Malgrund ihrer Lack- und Ölgemälde bilden auf dem Schrott gefundene Aluminiumplatten, die für den Offsetdruck eingesetzt wurden. Mit Dachpappennägeln auf Holzlatten aufgezogen, werden sie zu silbrig glänzenden Leinwänden für leuchtend bunte Miniaturbauten, Kioske, oder Container, die riesige Lettern tragen: POTATOES, BROKKOLI, ROSENKOHL, SPAGHETTI.

Nicht ohne Hintersinn erinnern Dorns Gemälde an Folk- oder Pop-Art, an „primitive“ Kunst, behelfsmäßige Ladenschilder oder Comics. Doch der Eindruck von Simplifizierung und der fröhlichen Affirmation einer bunten Warenwelt täuscht. Unter satten Schichten von Farbe dringt auf dem reflektierenden Metall das Ausgesparte, Ungedachte und Unausgesprochene durch. Hintergründig thematisiert „Imbisse“ den Austausch von Waren und Worten, die Rede über Dinge und die Vorstellung von den Dingen. Nicht nur Brokkoli wird buchstabiert oder verkauft, sondern auch KUNST. Der imaginären Kraft von Begriffen und Bildern stellt Dorn die Beschaffenheit des Materials gegenüber, das den Zeichen ihre Form verleiht. Malen ist bei ihr zugleich ein komplexer Akt der Rückführung, das Nachvollziehen dessen, was ein Gemälde auch ist: ein Produkt aus Metall, Holz, Öl, Lack. Malerisch zerlegt sie Häuser, Worte, Schilder, Logos, ganze Kommunikationssysteme und baut sie in ihren Bildern wieder auf.

Wie die klobigen architektonischen Versatzstücke und monströsen Worthülsen, die auf Dorns Bildern zu sehen sind, sind auch die Gemälde selbst sperrige Hüllen, die von der Sehnsucht nach Bedeutung und Erfüllung zeugen. Der harmonischen Bildgestaltung und ausgeklügelter Spannungseffekte entledigt, liegen die Zutaten der Malerei blank vor uns wie ein aufgeklappter Wellness-Burger von McDonald’s. Indem Dorn die Verpackungen von Kunst und Kommunikation seziert, fordert sie zugleich eine visuelle Sprache ein, die die Dinge beim Namen nennt. We love it.

Bis 3. Juli. Galerie Barbara Wien, geöffnet Di.–Fr. 14–19 Uhr, Sa. 12–18 Uhr. Linienstraße 158, im Hof, Mitte