wohin, ig metall?
: Mehr Reformen, weniger Rituale

Es hatte einen schlichten Charme: Man nehme den Taditionalisten und den Reformer, packe sie zusammen an die Spitze – und alles wird gut. Warum sollte bei der IG Metall mit Jürgen Peters und Berthold Huber nicht funktionieren, was die SPD 1998 mit Gerhard Schröder und Oskar Lafontaine zum Wahlsieg führte? Doch Schröder und Lafontaine waren sich zumindest in einem einig: Sie wollten an die Macht. Dieses Ziel erreichten sie, mehr nicht. Peters und Huber eint nicht einmal die Machtfrage. Die weltweit größte Industriegewerkschaft muss nun eine nervenzerrende Personaldebatte aushalten – wo sie konzeptionell ohnehin schon zerstritten, ja fast politikunfähig ist.

Kommentar von THILO KNOTT

Die Personaldebatte ist nur die Spitze des Konflikts, bei dem es in Wirklichkeit um eine Richtungsentscheidung geht. Egal wie die Kandidatenwahl morgen ausfällt: Die IG Metall muss eine Zukunftsdebatte führen – nach innen wie nach außen. Sie muss sich den Fragen stellen: Wen und welche Interessen vertritt sie eigentlich noch? Mit welchen Konzepten ist sie noch in der Lage, auf der politischen Bühne Einfluss zu nehmen?

Schon heute agiert die IG Metall nur noch für die Hälfte ihrer Mitglieder – die aktiv Beschäftigten. Wenn, wie im vergangenen Jahr, vier Prozent Lohnerhöhung vereinbart werden, dann ist das zwar ein Erfolg, kommt aber nicht der anderen Hälfte zugute – den Erwerbslosen, Rentnern und Vorruheständlern. Das ist Klientelpolitik, verkauft als „gerechte Verteilung“. Und auch der Streik im Osten um die 35-Stunden-Woche hat gewerkschaftliche Realitätsferne demonstriert: Vielen Arbeitern im Osten geht es um sichere Arbeitsplätze, nicht um mehr Freizeit.

Die Streikwochen waren Ausdruck der eingeübten und unreflektiert angewandten Rituale. Diese Rückwärtsgewandtheit schadet der politischen Glaubwürdigkeit. Und das in Zeiten, wo die Notwendigkeit von Reformen ja niemand ernsthaft mehr bezweifelt. Wer die Diskussion über differenzierte Löhne und also Öffnungsklauseln beim Flächentarifvertrag nur als „neoliberal“ abtut, wer bei der Diskussion um Sozialreformen immer nur „soziale Gerechtigkeit“ schreit, ohne diese (mitsamt ihren vermeintlichen Grenzen) auch zu definieren, der braucht sich nicht zu wundern, wenn er von allen Seiten den schwarzen Peters zugeschoben bekommt.

Das eigentliche Ergebnis der nächsten Vorstandssitzung kann nur sein: Die IG Metall darf sich nicht mehr hinter ihren Personaldebatten verstecken.