Regenbogen-Zentralorgan

Die „Siegessäule“ wird 20 und ist unentbehrlich – auch weil sie Kaufmagazine mit gesellschaftspolitischen Ambitionen unmöglich macht, denn die „Siegessäule“ kostet nichts

VON JAN FEDDERSEN

Dass es benötigt wird und aus allen Homoszenen nicht wegzudenken ist, mag das – medienwirtschaftlich gesehen – höchste Kompliment sein, das sich über dieses Blatt sagen lässt: Die Siegessäule nennt sich im Kopf mit vielleicht unbeabsichtigtem Understatement „Berlins schwullesbisches Stadtmagazin“ – denn es ist kostbarer: Keine andere Illustrierte in Berlin hat einen ähnlichen, servicegetränkten wie auch politischen Nutzwert – für Nonheterosexuelle jeglicher Identität: gratis, weil annoncenfinanziert obendrein.

In dem Magazin steht akkurat verzeichnet, was so läuft in der Szene des Regenbogens. Ein gedrucktes Medium als Orientierungshilfe im hauptstädtischen Szenedschungel, das vor 20 Jahren erstmals erschien. Und es war eine Gründung aus den Tiefen der damaligen Schwulenbewegung – der Akt selbst fand im schwulen Buchladen „Prinz Eisenherz“ statt. Lesben? Die hielten damals noch strikt auf (feministische) Autonomie.

Damals, als beispielsweise der Paragraf 175 noch existierte und die Tunte die Ikone der Schwulenbewegung war, ging es darum, ein Medium zu kreieren, das erstens diese (sehr praktisch gehaltenen) Wegweiser durch das Homoparadies des Landes aufmalte. Zweitens und womöglich wichtiger noch war man darum bemüht, das politische Verständnis vom Homosexuellen publizistisch zu unterfüttern.

Der gewöhnliche Homosexuelle, als spießig verschrien und als unpolitisch diffamiert, musste ein solches Blatt als konträr zu seinen Ängstlichkeiten lesen – aber er las es eben doch. So war es gedacht: eine publizistische Alternative zur Bitte-danke-seien-Sie-nett-zu-uns-Publizistik anderer Periodika aus der Homoszene zu gründen. Und das geschah mit Erfolg. Kein anderes Medium wusste darüber aufzuklären, was so geht – in Sachen Aids, in puncto Politik, auch was den CSD angeht, der damals noch kein touristisches Profitcenter war.

Damals war ein offen schwuler Politiker wie Klaus Wowereit ebenso undenkbar wie die Homoehe als bürgerliches Gesetzesprojekt. Um alles wurde gestritten – und die Siegessäule war meist ein Spiegel dessen, was homoszeneastisch so los ist. Und über die Jahre – nach einem kleinen Intermezzo Anfang der Neunziger, als man sich zum anspruchsvollen Kaufmagazin Magnus ummodelte, ehe jenes bankrott ging und die Siegessäule wieder strahlend auferstand – ist dieses Blatt zum Zentralorgan der Regenbogenszene geworden.

Das liegt wahrscheinlich auch an einer inhaltlichen Kurskorrektur, die durch die Redakteure Manuela Kay und Peter Polzer repräsentiert wird: Weg vom Leidensgefühl, stattdessen kämpferische Zuversicht. Mit dem Relaunch Mitte der Neunziger räumte auch die Siegessäule mit dem Generalverdacht gegen alles, was nicht Underground ist, auf: Man setzte nun auf Party und Event – und Journalismus. Einer apropos, der ein Terrain betrat, das bis dahin als unpassierbar galt: Lesbisches und Schwules gemeinsam zu verhandeln, und zwar gleichberechtigt.

Ungewöhnlich aber: Das Blatt kostet nichts, ist anzeigenfinanziert, es liegt (unverhüllt) an Szeneorten aus, doch auch an Orten, die nicht exklusiv schwul oder lesbisch annonciert sind – ein Zeichen von Souveränität und Respekt. Doch der Gratisvertrieb führte auch dazu, den Markt für Periodika mit essayistischem Anspruch (wie in Frankreich) zu zerstören: Versuche, ein Homomagazin mit gesellschaftspolitischen Ambitionen zu etablieren, scheiterten allesamt.

Manchmal sogar provoziert die Siegessäule gar Streit, der über das Homomilieu hinausreicht: Voriges Jahr beispielsweise, als man „Türken raus“ auf dem Titel zur Überschrift machte. Das war ziemlich doppelbödig gemeint – aber nicht rassistisch. Türkische Schwule sollten endlich couragierter sein und sich mit ihren Angehörigen streiten – über Homophobie.

Mehr von diesen Debatten bitte für die nächsten 20 Jahre. Heute wird in Berlin gründlich gefeiert. Herzlichen Glückwunsch!