Für Assistenz, gegen Sparen

Erste deutsche Sommeruniversität zu „Disability Studies“ in Bremen: 300 TeilnehmerInnen wollen „Behinderung neu denken“. Landesgleichstellung steht aus

taz ■ Bremen beweist mal wieder ein besonderes Talent für gutes Timing: Im aktuellen europäischen Jahr der behinderten Menschen, zu dem gehandicapte BremerInnen jetzt die erste deutsche Sommeruniversität auf die Beine gestellt haben, will die Regierung das Landespflegegeld streichen. So werden sich die Betroffenen auf dem Campus darüber austauschen, wie sie ihre persönliche Assistenz optimal organisieren – eines der Schwerpunktthemen der Sommeruni – während die finanzielle Grundlage dafür zu verschwinden droht.

Auch wenn die drohende Streichung unter Bremer Behinderten gerade das Reizthema Nummer eins sein dürfte, wollen die Sommeruni-OrganisatorInnen dem keinen zentralen Platz einräumen. Schließlich kämen die über dreihundert TeilnehmerInnen aus ganz Deutschland und dem deutschsprachigen Ausland zur Sommeruniversität. Stattdessen stehen im Programm vom 18. Juli bis 1. August zwei Tagungen, 20 Weiterbildungen und über 50 Diskussionsrunden zu rechtlichen Fragen, Barrierefreiheit, Mediendemokratie, der Situation von Mädchen und Frauen mit Behinderung, Tipps für leichte Sprache, Schauspiel, Tanz und Selbstverteidigung. Vormittags finden die Weiterbildungen statt, die ausschließlich für Menschen mit Behinderung zugänglich sind. Zu allen anderen Veranstaltungen, der Eröffnung, dem Kulturprogramm und den nachmittäglichen Diskussionen und Workshops können alle Interessierten kommen. Swantje Köbsell vom Bildungs- und Forschungsinstitut zum selbstbestimmten Leben Behinderter (bifos) fordert Regierungschef Henning Scherf (SPD) auf, sich der Bremer Debatte ums Landespflegegeld im freien „Open Space“ der Sommeruniversität stellen muss.

Köbsell ist Mitorganisatorin der kulturwissenschaftlichen Tagung zu „Disability Studies“ am 19. und 20 Juli. Hier soll die Grundlage für ein gemeinsames Verständnis der „Disability Studies“ gelegt werden. „Wir haben noch keine theoretische Grundlage“, sagt Köbsell.

In den USA und Großbritannien gebe es bereits diese Studienmöglichkeiten mit eigenen Instituten und anerkannten Hochschulabschlüssen. In Deutschland steht man noch ganz am Anfang, die Diskussion um die Studien hat erst vor zwei Jahren begonnen: „Wir wissen noch nicht, ob wir uns an die Kulturwissenschaften oder die Behindertenpädagogik anhängen wollen oder lieber ein eigenes Institut.“ Fragen von Behinderung könnten auch in der Architektur oder im Recht angesiedelt sein, überlegt Köbsell.

Am Wochenende 26./27. Juli findet die zweite Tagung statt: Sie beschäftigt sich mit der Umsetzung der Gleichstellung behinderter Menschen, von der kommunalen Ebene bis zur UNO. Und wieder steht Bremen schlecht da: Es ist das einzige Bundesland ohne Landesgleichstellungsgesetz.

Bremen war übrigens schon einmal gut im Timing: Im UNO-Jahr der Behinderten 1981 provozierte die damalige Regierung scharfe Proteste, als sie den Fahrdienst streichen wollte. ube

Infos: www.sommeruni2003.de