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Aufbauen, um zu zerstören

Kommt Dubstep eher einem Gerücht denn einer wirklichen Bewegung gleich? Das Berghain jedenfalls wächst mit den „Substance“-Nächten zu einer Dubstep-Hochburg Europas. Daran arbeitete der Brite Kevin Martin am Wochenende kräftig mit

VON ANDREAS HARTMANN

Was dem Paris-Besucher ein T-Shirt mit Eiffelturm-Motiv ist, das ist dem Partytouristen in Berlin ein Berghain-T-Shirt mit dem Aufdruck einer der berüchtigten Boxen, die in der großen Halle des Clubs für einen Wumms sorgen, dass man durchgeschüttelt wird. Kevin Martin, alias The Bug, schon seit vielen Jahren unter unzähligen Projektnamen wie God, Ice oder Techno Animal unterwegs als Magengrubenmasseur, schien nun nach Berlin gekommen zu sein, um das Soundsystem im größten Club der Stadt nochmals so richtig zu testen.

Noch während man die schweren Stahltreppen nach oben schlappte, schlug einem ein schauriges Donnergrollen entgegen. Wie jedes Wochenende im Berghain eigentlich. Das Ungewöhnliche aber war, dass es nicht Bumbumbum machte, wie fast immer in dem Technotempel, sondern es machte Bum, dann zischelte was, dann verlor man sich in einer Mauer aus Hall, dann murmelte ein Reggae-Toaster irgendwas, dann schien eine Festplatte abzuschmieren und hörbar den Geist aufzugeben, und dann erklangen all die eben genannten Höreindrücke nochmals in einem überwältigenden Zusammenspiel, um kurz darauf von einem angedeuteten Ravesignal abgelöst zu werden, das für drei Sekunden in ein Breakbeatgewitter überging.

Der Saal war gut gefüllt, vorne gab es immer wieder leicht hilflos wirkende Versuche, den eigenen Körper dem Rhythmus-Gehäcksel anzupassen. Auf der Bühne stand Kevin Martin mit einer Baseballkappe auf dem Kopf und drehte Effekte rein und raus, und das so ununterbrochen, als wüsste er sonst nicht, wohin mit seinen Händen. Wo sich in einem durchschnittlichen Technotrack langsam etwas aufbaut, das einem vorläufigen Höhepunkt zugeführt wird, woraufhin behutsam und gemächlich das gleiche Spiel wieder von vorne beginnt, zerstörte The Bug jede Struktur. „Create and destroy“ – „Bau was auf und zerstöre es wieder“ stand auf dem T-Shirt des ersten DJs, der nach dem Auftritt von The Bug oben die Panoramabar mit dem üblichen Minimal-Techno bespielte. Das T-Shirt hätte eher zu Kevin Martin gepasst.

The Bug, der mit dem Erfolg seiner gefeierten letzten Platte „London Zoo“ zu einer Art Star im schwierigen Feld zwischen Dubstep, Dancehall und Grime aufstieg, trat im Rahmen einer der sogenannten „Substance“-Nächte im Berghain auf, die alle drei Monate stattfinden und erstaunlich erfolgreich sind, obwohl sie sich einer immer noch schwer vermittelbaren Musik verschrieben haben: Dubstep, dieser furiosen Mischung aus Techno, Dub, Jungle und schlechter Laune. Die erste „Substance“-Nacht, die im Sommer stattfand, zu einer Zeit, als die Berliner Partyszene sowieso in Aufregung und erstaunlich Riot-mäßig drauf war – gerade waren die bunten Aktionen rund um „MediaSpree versenken!“ und „Bar 25 retten“ angesagt –, kam gleich bestens an. Das Berliner Partypublikum, eigentlich als relativ borniert und Four-to-the-flour-besessen verschrien, gab sich sichtbar Mühe, sich zu der dunkel dräuenden Musik von Londoner DJs wie Shackleton zu verrenken, bei der viele sagen, es sei eigentlich hoffnungslos, so zu Dubstep zu tanzen, dass es nicht aussieht, als hätte man sich gerade beide Füße verbrannt.

So wie es das Berghain geschafft hat, ein Publikum mit den unterschiedlichsten sexuellen Präferenzen anzusprechen, ist ihm nun auch gelungen, Dubstep-Interessierte mit dem normalen Partyvolk zu vermengen. Wer mag, kann auch bei den „Substance“-Nächten gemütlich oben in der Panoramabar zum üblichen Berliner Funktionstechno tanzen, vielleicht aber auch die Herausforderung annehmen, sich zwischendurch in den Echokammern und dem morbiden Apokalypse-Geschepper der Dubstep-DJs im großen Saal verlieren zu wollen. Den Leuten nicht nur Zuckerl zum Tanzen anzubieten, sondern sie auch musikalisch herauszufordern, das zu tun, ist den „Substance“-Veranstaltern hoch anzurechnen. Musikalische Stagnation hatten wir lange genug in den Berliner Clubs. Auch wenn Dubstep seit ungefähr zwei Jahren eher ein Gerücht denn eine wirkliche Bewegung ist, ein Untergrundphänomen aus England, das außerhalb der Insel kaum Strukturen aufbauen konnte und von seltsamen Typen wie Burial geprägt wird, von dem immer noch niemand weiß, wie er eigentlich aussieht, wird Berlin dank den „Substance“-Nächten, die schon jetzt als größte ihrer Art in Europa gelten, langsam zur wichtigsten Dubstep-Hochburg außerhalb Londons.

Auch nach dem Auftritt von The Bug, der die zweite Hälfte seines Konzerts zusammen mit der Toasterin Warrior Queen bestritt, die ihr Publikum ununterbrochen an die Wand laberte und Kevin Martin schnell klarmachte, dass es ab sofort mehr um sie als um ihn ging, konnte man wieder zwischen Wellnessbereich Panoramabar und Kriegsschauplatz Großer Saal hin- und her wechseln. Man stellte schnell fest: Immer nur Krieg macht auf Dauer auch miesepetrig, aber im Vergleich dazu ist der ewige Gute-Laune-Techno heute noch so aufregend wie das Aroma eines Duftkissens.

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