Mit dem Mut der Verzweiflung

Bocklemünd ist ein Stadtteil, der „lokales Kapital für soziale Zwecke“ bekommen hat. Einzelhändler verknüpfen Hoffnungen mit dem Geld aus Brüssel

Von Claudia Lehnen

Versteinerten Riesen gleich ragen sie in den Frühlingshimmel. Sie haben sich Schulter an Schulter um einen grauen Platz gestellt, als würde hier gleich etwas Sehenswertes stattfinden. Aber zwischen den Plattenbauten im Görlinger Zentrum von Bocklemünd gibt es nichts zu sehen.

Schon so lange die Einzelhändler hier zurückdenken können, ist hier nichts passiert, wobei man gerne zusehen würde. Manchmal wird eine Scheibe eingeschlagen, kürzlich fuhren Jugendliche mit dem Auto eines Nachts mitten in die Auslagen eines Jeansladens. Manchmal gerät eine alte Dame in ein Hockeyspiel und bricht sich dabei diverse Knochen. Im Winter allerdings, da seien die Straßen wie leer gefegt. „Da haben die Leute Angst. Sobald es dunkel wird, kommt keiner mehr“, klagt Optikerin Claudia Szelag.

Bocklemünd ist ein Stadtteil, in dem es viel zu tun gibt. Das erleben die wenigen Einzelhändler, die hier durchgehalten haben, jeden Tag aufs Neue. Im Rahmen des Europäischen Sozialfonds hat Bocklemünd-Mengenich ebenso wie Porz-Finkenberg, Kalk-Mühlheim und Chorweiler 80.000 Euro „Lokales Kapital für soziale Zwecke“ (LOS) bekommen. Damit werden Projekte gefördert, die soziale und beschäftigungswirksame Potenziale vor Ort aktivieren und damit zu einem intakteren Stadtteilleben beitragen sollen.

Die Einzelhändler im Görlinger Zentrum hoffen, dass diese Projekte etwas verbessern, dass der Stadtteil wieder attraktiver und sicherer wird, wieder mehr Menschen zum Einkaufen kommen – nicht nur zum Pöbeln, Trinken und Klauen.

Die Optikerin, die seit zweieinhalb Jahren in der Fußgängerzone ihr Brillengeschäft betreibt, möchte niemandem Unrecht tun. Aber: Es seien schon größtenteils die Jugendlichen, die das Viertel zu einem „bösen Viertel“ machten. „Die haben keine Arbeit, Langeweile und wenig Knete. Da passieren dann so dumme Geschichten.“

Äußerungen wie diese haben sich herumgesprochen auf dem grauen Platz, der für die jungen Bocklemünder Ersatz ist für Disco, Arbeitsstelle, ein intaktes Zuhause. „Wir hängen hier rum. Kein Wunder, wenn wir Scheiße im Kopf haben. Hier ist ja nichts“, sagt einer und kickt eine leere Bierflasche gegen die Hauswand.

An der Gesamtschule im Görlinger Zentrum legten Jugendliche unter der Leitung des Arbeitskreises Vogelwäldchen im Rahmen von LOS gerade einen Bolzplatz mit Fußballtoren an, ein Spielplatz soll wieder in Stand gesetzt werden. Ob er da nicht Lust hätte, mit zu helfen? Der junge Mann mit dem breitbeinigen Gang und den schmalen Schultern scheint nicht abgeneigt zu sein. „Bolzplatz klingt cool“, sagt er. Viel bringen würde es freilich nicht. Eine Disco müsste her, Kneipen – und vor allem eine Perspektive. „Einige gehen noch zur Schule, die meisten anderen haben keine Arbeit.“

Rolf Heinemann ist einer, der durchhält. Einer der stur ist. Schon seit 15 Jahren steht er hier in seiner kleinen Parfümerie hinter der Ladentheke. Er blickt durch die gerade erst erneuerte Schaufensterscheibe. „Kurz nach Ostern haben sie hier versucht einzubrechen. Durch das neue Sicherheitsglas kommen sie aber nicht mehr durch“, sagt Heinemann und lächelt schief. Klar fände er es gut, wenn für Bocklemünd endlich mal ein bisschen Geld da sei. An den alles heilenden Geldregen glaubt der Vorsitzende des Einzelhändlervereins allerdings nicht. „Wichtig ist, dass die Bevölkerung mehr zusammen hält“, sagt er und streicht sich über die Knopfleiste seines grauen Jacketts.

Hoffnung setzt er auf das Stadtteilfest, das am 19. Juni im Rahmen des LOS-Programms ein wenig Leben auf den grauen Platz bringen soll. An diesem Tag soll hier etwas passieren, wobei man gerne zusieht. „Nur im Miteinander können wir verhindern, dass es immer trauriger wird hier draußen“, sagt Heinemann. Seine Frau und er werden sich mit einer Schminkaktion am Gelingen des Tages beteiligen. In seinen Augen liegt neben der Verzweiflung auch ein wenig Hoffnung.