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: Ein Heiliger ohne katholischen Segen lockt 200.000 Menschen an

Antonio Gil ist ein Heiliger. Rotes Stirnband, blaues Hemd, schwarze Hose, roter Umhang und ein mächtiger schwarzer Schnurrbart im Gesicht. Das ist der Gaucho Gil, oder wie seine wachsende Gemeinde ihn liebenvoll nennt: „Gauchito“ Gil. Auch Gil hat von den Reichen genommen und es den Armen gegeben. Aber der „Gauchito“ Gil ist mehr als nur die argentinische Variante des Robin Hood. Gil ist zum Volksheiligen avanciert, dessen Anhängerschar von Jahr zu Jahr wächst und die sich am 8. Januar in der kleinen Stadt Mercedes in der Provinz Corrientes versammelt.

Dass die katholische Kirche ihn bisher eisern ignoriert hat, ist seiner Popularität nicht hinderlich. Dieses Jahr pilgerten über 200.000 Menschen nach Mercedes. Auf Pferden, Kutschen und in hunderten von Bussen waren sie aus ganz Argentinien gekommen. Ein rotes Fahnen- und Bändermeer. Im ganzen Land versammelten sich an dem Tag seine Anhänger zu kleinen und großen Messen, um ihren Heiligen um Fürbitte anzurufen. Überall stehen seine kleinen Altäre, die wegen der zahllosen roten Bänder und Fähnchen nicht zu übersehen sind.

Um Gil ranken sich viele Geschichten und Legenden, Wahrheit und Dichtung liegen eng zusammen. Antonio Mamerto Gil Núñez soll 1840 geboren worden sein. So ganz genau weiß das niemand. Und ob sein Geburtsort das kleine Mercedes in der Provinz Corrientes ist, ist auch nicht gesichert. Historisch abgesichert ist jedoch, dass er nicht weit von Mercedes im Januar 1878 hingerichtet wurde.

Der Gaucho verkörpert die Unabhängigkeit, die Auflehnung gegen den Zwang und die da oben. Ein Nachfahre von Weißen und den Ureinwohnern, dem der Eigentumsbegriff fremd war. Für den die Zäune auf der Pampa nicht galten und der sich die umherziehenden Rinder nahm, um zu überleben. Für ihn war das kein Diebstahl: Schon immer hatte er, wenn er hungrig war, Vieh gejagt. Für den Estanziero war er ein Bandit, ein Outlaw. Und Gil kämpfte einst auf Seiten der Föderalisten gegen die Unitarier, die Provinzen gegen die Zentralisten in Buenos Aires, die Rotuniformierten gegen die Blauen. Aber als er die Nase vom Bruderkrieg voll hatte, haute er ab.

Dann wurde er von dem Oberst Velázquez gefangen genommen und getötet. Weil der Oberst Angst vor den angeblich hypnotischen Fähigkeiten von Gil hatte, ließ er ihn mit dem Kopf nach unten an einen Baum hängen. Doch bevor er ihn enthaupten ließ, soll dieser zu ihm gesagt haben: „Wenn du nach Hause kommst, wirst du deinen Sohn krank vorfinden. Er wird sterben, aber bitte Gott in meinem Namen um Hilfe und er wird gerettet werden.“

Zu Hause fand Velázquez seinen Sohn tatsächlich sterbenskrank, flehte im Namen von Antonio Gil um göttliche Hilfe, und der Junge erholte sich. Voller Reue eilte der Oberst zurück zu dem Ort der Hinrichtung, weinte bitterlich, begrub den Leichnam des Gil und stellte ein großes Kreuz auf. Das war das erste Wunder, dass der Gaucho Gil vollbrachte. Später kamen je nach Erzählung noch viele hinzu. „Oh, Gauchito Gil, bescheiden bitte ich dich, dass sich durch deine Vermittlung vor Gott das Wunder erfüllen möge, um welches ich dich bitte“, heißt es in der Kapelle von Mercedes. JÜRGEN VOGT