Im Palast der Ungläubigen

Gehen oder bleiben? In al-Eid, einer luxuriösen Wohnsiedlung ähnlich der von al-Chobar, herrscht Ratlosigkeit. Hinter dicken Mauern wächst die Angst

AUS RIAD KARIM EL-GAWHARY

Sie ist golden und doch ein Käfig: die Al-Eid-Wohnanlage für Ausländer im Norden der saudischen Hauptstadt Riad, unweit des Flughafens. Sie ähnelt jener Anlage in al-Chobar, im Osten des Landes, in die vor drei Tagen eine Gruppe militanter Islamisten eingedrungen war, um dort von Tür zu Tür zu gehen, um Geiseln zu nehmen und 22 „Ungläubige“ niederzuschießen oder ihnen die Kehle durchzuschneiden.

Draußen vor dem Eingangstor von al-Eid – zu Deutsch „das Fest“ – herrscht eine Zwingeratmosphäre. Drei Polizeiautos sind so postiert, dass gerade einmal ein Wagen in ihrer Mitte passieren kann. Wenige Meter dahinter steht unter einem sandfarbenen Tarnnetz ein Militärjeep mit aufgepflanztem Maschinengewehr. Mehrere Soldaten stehen schwitzend in der Mittagssonne.

Nachdem die Polizisten die Pässe kontrolliert haben, endet hier für Besucher die Fahrt im Auto. Es geht zu Fuß weiter – entlang von Betonsperren. Außer den Golf-Wägelchen, die für die nächsten hundert Meter auch bereitstehen, erinnert alles an einen Besuch im Hauptquartier der US-Besatzungsverwaltung in Bagdad. Nur dass hier nicht US-Präfekt Paul Bremer, sondern etwa tausend Ausländer in 70 Villen beschützt werden.

Am eigentlichen Eingang der Siedlung werden die Grenzen auch nicht mehr nur durch Zäune abgesteckt. Saudis kommen hier gar nicht mehr weiter, andere Araber nur, wenn sie sich an die westliche Kleiderordnung halten. „Abayas sind verboten“, heißt es auf einem Schild. „Abayas“ heißen hierzulande die schwarzen Frauenumhänge.

Hinter dem Tor beginnt der goldene Käfig zu glitzern. Vor jeder Villa, für die der jeweilige Arbeitgeber monatlich mehrere zehntausend Euro Miete bezahlt, ist ein gepflegter Rasen angelegt. Im Zentrum des Areals liegt ein riesiger Swimmingpool mit eingebauter Wellenanlage und einer mehrstöckigen Kinderrutsche. Al-Eid ist ein typisches Beispiel eines der „Ausländerwohnheime à la Saudi-Arabien“, in denen die Mehrheit der weniger als hunderttausend noch im Scheichtum verbliebenen westlichen Ausländer lebt– auch wenn die Anlage nicht ganz so luxuriös ist wie die in al-Chobar, wo die Bewohner auch bei über 50 Grad im Schatten in einer Eishalle Schlittschuh fahren können.

Am Pool von al-Eid ist nichts von Panik zu verspüren oder gar vom Exodus ausländischer Fachleute, den einige Diplomaten vorhersagen. Manche Familien, heißt es, würden nach den demnächst beginnenden Sommerferien einfach nicht mehr zurückkehren.

Eine schreiende Gruppe Kinder planscht ausgelassen in den Wellen. Die Mütter sitzen im Bikini ein paar Meter entfernt im Schatten. Michel, der belgische Ingenieur, einer der wenigen Männer am Pool, ist in die Lektüre der verschiedenen englischsprachigen saudischen Tageszeitungen vertieft und verschlingt jedes Detail über das Attentat in al-Chobar. Er liest, wie die Angreifer von Haus zu Haus gingen und fragten, ob dort Muslime oder Ungläubige wohnen. Er liest die Berichte über Familien, die sich stundenlang in Schränken versteckten, um den Terroristen zu entkommen.

Michel lebt seit 16 Jahren hier, er hat drei Kinder und weiß nicht, wie es weitergehen soll. Der Gedanke, die Koffer zu packen, dränge sich natürlich auf. Zumal die US-Botschaft schon dazu aufgerufen hat, das Land zu verlassen. „Erst mal abwarten“, sagt er dann. Genauso, wie er das bei den letzten Anschlägen gedacht hatte, als vor drei Wochen fünf Ausländer im westsaudischen Janbu ermordet wurden. Oder letzte Woche, als ein Deutscher auf offener Straße in Riad niedergeschossen wurde.

„In meinem Kopf dreht sich alles“, sagt er dann. Michel hat noch driftige Argumente, zu bleiben. Er verdient gutes Geld, steuerfrei, und er hat keine Ahnung, wo er auch nur zu annähernd guten Bedingungen einen ähnlichen Job in Europa finden könnte.

„Low Profil“ – So wenig Präsenz wie möglich zeigen – lautet das Motto der Leute in al-Eid. Deswegen wollen sie wenig sagen. Manche wollen noch nicht einmal ihren Namen angeben. Wie jener österreichische Ingenieur, der erzählt, dass „die Situation für Ausländer sich seit dem letzten Irakkrieg verschärft hat“. Jeder habe Angst, wie ein Amerikaner auszusehen. Er habe keine Panik, aber dieses „ständige Gefühl des Unwohlseins“. Es gäre ein weit verbreiteter Hass gegen westliche Gesichter, geschürt durch die täglichen Horrornachrichten aus dem Irak und den Palästinensergebieten. „Da steht schon mal jemand neben dir an der Ampel und deutet mit der Hand an, dass es am besten wäre, dir die Kehle durchzuschneiden“, berichtet er.

Der Alltag ist deswegen von immer mehr Vorsichtsmaßnahmen bestimmt. Der Ingenieur nimmt jeden Tag einen anderen Weg zur Arbeit. Auch Familienausflüge in die gigantischen Einkaufszentren, eins der wenigen Freizeitvergnügen in Riad, habe er eingeschränkt. „Wir gehen nur noch am späten Nachmittag, wenn die meisten Saudis noch ihren Mittagsschlaf halten.“

Er kann sich inzwischen vorstellen, das Land zu verlassen, „wenn der Abstand zwischen den Anschlägen noch geringer wird“. Dass die Situation sich wieder bessern könnte, glaubt er allerdings auch nicht.

Die meisten sind froh über die Sicherheitsmaßnahmen, die seit letztem Jahr vor dem Eingangstor getroffen wurden. Aber so ganz trauen sie selbst ihren einheimischen Bewachern nicht. Michels Liegennachbar fasst seine Bedenken zusammen. Die Soldaten vor dem Tor hätten zwar in letzter Zeit zweimal eine 25-prozentige Lohnerhöhung erhalten, aber, sagt er, „sie tragen die gleichen Fundamentalistenbärte wie die Attentäter von al-Chobar“. Da könne keiner erwarten, „dass sie im Ernstfall für uns Ungläubige am Pool ihren Kopf hinhalten“.