Viele Wege führen weg vom Öl

Der Ölpreis klettert weiter und macht der Weltwirtschaft Sorgen. Der Ruf nach einer Energiewende wird lauter. Doch fossile Brennstoffe bleiben wichtig

VON STEPHAN KOSCH

Die Anschläge in Saudi-Arabien am Wochenende haben auf den Ölmärkten für einen neuen Preisschock gesorgt. Ein Fass mit 159 Litern für die führende Nordsee-Ölsorte Brent kostete am ersten Handelstag nach dem Terrorakt bis zu 1,90 Dollar mehr als am Freitag. Der Preis stieg auf auf 38,50 Dollar, leichtes US-Öl verteuerte sich um 1,67 auf 41,55 Dollar.

Sollte wegen weiterer Anschläge die Ölproduktion Saudi-Arabiens gesenkt werden oder zwischenzeitlich gar ausfallen, könnte der Preis auf 50 Dollar steigen, warnen Experten. Denn die weltweite Ölproduktion ist derzeit am Limit, ein Ausfall aus Saudi-Arabien könnte nicht aufgefangen werden.

Horrorszenarien nicht nur für die Weltwirtschaft, die den Schmierstoff Öl zum Wachstum braucht. Auch bei den Autofahrern steigt vor der Hauptreisezeit die Sensibilität für die Preise an den Zapfsäulen. Da hilft es wenig darauf hinzuweisen, dass ein Liter Öl verglichen mit der Kaufkraft zurzeit nicht viel teurer ist als in den 60er- oder 70er-Jahren.

Stattdessen bricht der Populismus sich Bahn. Zum Beispiel in den USA, wo Präsidentschaftskandidat John Kerry dazu aufruft, die nationalen Ölreserven auf den Markt zu werfen. „Wir befinden uns im Krieg, und Familien haben angesichts der steigenden Benzinpreise Schwierigkeiten, finanziell über die Runden zu kommen.“ Dem stehen die deutschen Oppositionspolitiker in nichts nach. Gestern machten sich Politiker von CDU und FDP zum Fürsprecher der Autofahrerlobby und fordern einen „Benzingipfel“.

Bei den 3.000 Delegierten aus 150 Ländern, die in dieser Woche auf der Bonner Konferenz „Renewables“ über die Chancen der erneuerbaren Energie diskutieren, dürften die hohen Ölpreise hingegen nicht nur Sorge auslösen. Sie liefern Argumentationshilfe für die geforderte Abkehr von fossilen Energieträgern.

„Das Zeitalter der Erneuerbaren beginnt jetzt“, betonte Bundesumweltminister Jürgen Trittin. Er hatte vor zwei Wochen erst eine Studie vorgestellt, wonach 2050 etwa 65 Prozent des deutschen Stromverbrauchs erneuerbar gedeckt werden könnten – allerdings nur bei entsprechender finanzieller Förderung. Und auch Entwicklungsministerin Heidemarie Wieczorek-Zeul verwies darauf, dass es um Erdöl schon blutige Kämpfe gegeben habe. „Es wird niemals Krieg um den Zugang zur Sonne geben“, sagte die SPD-Politikerin.

Doch die Aufbruchstimmung wird nicht von allen Experten geteilt. „Ich gehe davon aus, dass Öl, Gas und Kohle auch noch im Jahr 2050 eine bedeutendere Rolle für die Energieversorgung spielen als die erneuerbaren Energien“, sagt zum Beispiel Manuel Frondel, Leiter des Kompetenzzentrums Umwelt und Ressourcen beim Rheinisch-Westfälischen Institut für Wirtschaftsforschung in Essen. Zwar sieht er auch langfristig die Notwendigkeit, von den fossilen Energien unabhängig zu werden, da die Reserven irgendwann aufgebraucht sein werden. Doch dieses Ziel sollte nach seiner Auffassung auf möglichst vielen Wegen parallel angestrebt werden.

Wie bei der Geldanlage hält Frondel auch in der Energieversorgung die Streuung des Risikos für entscheidend. Deshalb sieht er neben den erneuerbaren Energien auch für lange Zeit weiterhin die „alten“ Energieträger im Spiel, wenn auch zum Teil mit neuen Rollen. So könnte aus Kohle, deren Vorkommen nach seiner Einschätzung noch 270 Jahre ausreichen würden, Wasserstoff hergestellt und als Brennstoff für Autos genutzt werden. Auch Erdgas könnte eine bedeutendere Rolle spielen. Zum Beispiel als Treibstoff für Autos, aber auch bei der Stromerzeugung in Kraftwerken.

Zwar räumt auch Frondel ein, dass dies neue Abhängigkeiten von bestimmten Regionen, wie zum Beispiel Russland, schaffen würde. Doch weil Öl und andere Energieträger nicht restlos wegfielen, würde das mögliche Risiko eines Versorgungsengpasses zumindest breiter gestreut.

Um einem solchen Engpass vorzubeugen wäre ein Ausbau der erneuerbaren Energie sinnvoll. Welche Rolle die Bonner Konferenz dabei spielen kann, ist noch offen. Ein erstes Ergebnis gab es aber gestern schon. Am Rande der Konferenz vereinbarte Trittin mit Repräsentanten mehrerer Staaten eine „Global Market Initiative“. Bis 2015 sollen solarthermische Kraftwerke mit einer Kapazität von 5.000 Megawatt im Sonnengürtel der Erde entstehen. Innerhalb von zehn Jahren solle der Solarstrom marktreif und voll konkurrenzfähig mit Strom aus konventionellen Kraftwerken werden.