Revier bleibt ein Flickenteppich

Ausgerechnet im strukturschwachen nördlichen Ruhrgebiet steckt die Neuordnung der Wirtschafts- und Arbeitspolitik fest. Gewerkschafter warnen bereits, Fördermittel könnten nicht mehr fließen

AUS BOCHUM ANDREAS WYPUTTA

Der Struktur-, Wirtschafts- und Arbeitspolitik im sozial schwachen nördlichen Ruhrgebiet droht das Chaos: Gewerkschafter warnen vor einem Versagen der zum 1. August neu zu schaffenden Regionalagenturen. Damit stünde die Strukturförderung durch die Europäische Union, von Bund und Land auf dem Spiel.

Bestes Beispiel: Die Emscher-Lippe-Region. „Für die konstituierende Sitzung des Lenkungskreises der Regionalagentur gibt es nicht einmal einen Termin“, klagt der Regionalvorsitzende des Deutschen Gewerkschaftsbunds, Josef Hülsdünker. Die Folge: Bleibt die Agentur bis zum 1. August beschlussunfähig, fiele in dem strukturschwachen Raum um Gelsenkirchen, Gladbeck, Herten und Castrop-Rauxel die Koordination von Strukturfördermitteln einfach weg. Millionen Euro Fördermittel würden wegbrechen – für den Strukturwandel in der von Arbeitslosenquoten bis zu 19 Prozent gebeutelten Region eine Katastrophe.

Ähnlich chaotisch ist die Situation auch am nördlichen Niederrhein. Hier können sich die lokalen Akteure bisher nicht einmal auf den Zuschnitt ihrer Regionalagentur einigen. „Während sich der Kreis Wesel auf Duisburg hin orientiert, möchte das agrarische Kleve eher zu Krefeld und Mönchengladbach gehören“, sagt der Duisburger DGB-Vorsitzende Rainer Bischoff.

Dabei sind die Agenturen das Herzstück der von Nordrhein-Westfalens Wirtschafts- und Arbeitsminister Harald Schartau (SPD) forcierten Neuordnung der regionalen Struktur-, Wirtschafts- und Arbeitspolitik, mit der nicht nur die Zusammenlegung des Landeswirtschafts- mit dem Arbeitsministerium nachvollzogen werden soll. Ihre Aufgabe: Die Konzeption einer sinnvollen, in sich stimmigen Wirtschafts- und Beschäftigungspolitik aus der Region heraus. So könnte etwa die Regionalagentur Emscher-Lippe einen Masterplan für die Region aufstellen und damit die Stärken des nördlichen Ruhrgebiets weiterentwickeln: „Wir denken da an die Kompetenzfelder Energie, Chemie und Tourismus“, plant Gewerkschafter Hülsdünker. So sollen die Potentiale der Solarindustrie in Gelsenkirchen, der Brennstoffzellentechnik im Zukunftszentrum Herten und die Kompetenzen des Innovationszentrums Gladbeck miteinander vernetzt werden. Auf neue Arbeitsplätze hofft Hülsdünker auch in der regionalen Chemieindustrie: „Wir müssen auch die Verarbeitungslinien der bei uns hergestellten Grundstoffe stärken“ – die Produkte der Spezialchemie aus dem Chemiepark Marl oder der Petrochemie im Raum Gladbeck sollen vor Ort verarbeitet und so neue Arbeitsplätze geschaffen werden.

Vor Ort aber herrscht oft Kleinkrieg: In Recklinghausen etwa streitet sich CDU-Landrat Hans-Jürgen Schnipper mit Bürgermeistern seines Kreises um die zukünftige Zuordnung der bisherigen arbeitspolitisch orientierten Regionalsekretariate – dabei sollen die durch die Regionalagenturen ersetzt werden. Und Politiker von SPD und Grünen sorgen sich wie Gewerkschafter vor einer Dominanz wirtschaftsnaher Positionen, etwa durch Industrie- und Handelskammern und konservative Christdemokraten. Doch allem Chaos zum Trotz wiegelt Schartaus Ministerium ab: „Ich kann das im Einzelnen nicht kommentieren“, so seine Sprecherin Heike Döll-König. „Wir gehen aber davon aus, dass die neuen Strukturen zum 1. August stehen.“