Legale Quellen

Der Freistaat Bayern und die Lobby der Musikindustrie haben das neue Urheberrecht noch einmal verschärft. Wer Daten aus einem Filesharing-Netz holt, macht sich fast immer strafbar

von DIETMAR KAMMERER

Das deutsche Reinheitsgebot gilt jetzt auch im Urheberrecht: Privatkopien sind nur noch dann legal, wenn auch die Quelle sauber, das heißt: rechtmäßig erworben wurde. Darauf einigten sich Bundestag und Bundesrat jetzt im Vermittlungsausschuss.

Eigentlich war das „Gesetz zur Regelung des Urheberrechts in der Informationsgesellschaft“ schon im April im Bundestag beschlossene Sache, aber die Länder forderten Nachbesserung. Auf Initiative des Freistaates Bayern und unter dem Druck der Lobbyverbände – unter anderem der Phonoverbände und des Branchenverbandes der Computerhersteller, Bitkom – stellte der unionsdominierte Bundesrat einen Änderungsantrag, der im Wesentlichen eine Verschärfung des Gesetzestextes zum Ziel hatte. Danach sollten Privatkopien „nur dann privilegiert sein, wenn zur Vervielfältigung eine rechtmäßig hergestellte Vorlage verwendet wird“.

„Damit soll insbesondere die Vervielfältigung von Raubkopien zum privaten Gebrauch ausgeschlossen werden“, heißt es in der Begründung. Dass Kopien zum eigenen Gebrauch auch in der digitalen Welt erst einmal zulässig sein sollten, war einer der Kernpunkte des ursprünglichen Gesetzentwurfs, der vor seiner Verabschiedung bereits für reichlich Konfliktstoff sorgte.

Legal sind die Privatkopien immer noch – nur ist die Möglichkeit, sie herzustellen, noch dünner geworden als bisher. Der erste Entwurf des Bundestags hatte sie nur de facto verunmöglicht, indem er die „Umgehung von wirksamen Schutzmaßnahmen“ unter Strafe stellte. Gemeint sind Kopierschutzmechanismen wie Key2Audio oder Cactus Data Shield, ohne die heutzutage kaum eine Musik-CD auf den Markt kommt. Die Kopie des Inhalts selbst blieb damit rechtlich nicht berührt. Die Bundesratsinitiative hat diese Barriere beseitigt und stellt auch rechtlich klar: Privatkopien sind nur dann zulässig, „soweit nicht zur Vervielfältigung eine offensichtlich rechtswidrig hergestellte Vorlage verwendet wird“.

In dem einen Wörtchen „offensichtlich“ steckt der ganze Kompromiss zwischen Bund und Ländern. Denn bisher wurde nicht versehentlich, sondern absichtlich auf eine solche Regelung verzichtet. Digitale Kopien sind von ihrem Original nicht zu unterscheiden. Niemand kann daher zweifelsfrei erkennen, ob die Daten, die er da (im simplem Copy&Paste-Verfahren oder mit eigens dafür geschriebenen Programmen) vervielfältigt, aus einer legalen Quelle stammen oder nicht. „Der Vermittlungsvorschlag begrenzt die Unzulässigkeit auf ‚offensichtlich‘ rechtswidrig erstellte Vorlagen und berücksichtigt insoweit die von der Bundesregierung vorgebrachten Bedenken, wonach es dem Nutzer häufig nicht möglich sei, die Rechtmäßigkeit der Kopiervorlage zu beurteilen“, erläutert der Vermittlungsausschuss seine Formulierung.

Untauglich in der Praxis

So aber lauten Kompromisse, die gerade mal für das Papier tauglich sind, auf dem sie geschrieben werden, kaum aber für die Praxis. Was „offensichtlich“ im Alltag bedeuten soll, ist wenig offensichtlich, sondern Auslegungssache von Rechtsexperten. Dasselbe gilt für die „wirksamen“ Kopierschutzmechanismen: Manche sind nur unter dem Betriebssystem Windows „wirksam“, sodass Benutzer eines Apple sich beim Kopieren nicht illegal betätigen. Und sind Kopierschutzmechanismen, die geknackt werden, nicht eigentlich genau dadurch „unwirksam“? Im juristischen Graubereich bewegen sich auch Kopierprogramme, die so genannte Images erstellen, also Eins-zu-eins-Kopien von Datenträgern, die den Kopierschutz nicht knacken, sondern einfach mitkopieren. Und wie wollen die Rechtsbehörden das Gesetz jemals wirksam durchsetzen? Sollen jetzt alle PCs nach Kopien durchforstet werden? Müssen die User dabei für jede einzelne Datei den Nachweis zur Hand haben, dass sie aus einer einwandfreien Quelle stammt?

Wer so viel Unschärfe im Gesetzestext hinnimmt, muss sich fragen lassen, ob ihm mehr an Rechtssicherheit oder an Unsicherheit gelegen ist, mehr daran, Furcht und Schrecken zu verbreiten, oder Klarheit. Cui bono? Wem nützt's? Wie viel Interesse der Staat eigentlich an der Unterbindung des Kopierens hat, wird deutlich, wenn man sich die konkreten rechtlichen Folgen des Kopierens vor Augen führt. So verstößt zwar gegen das Gesetz, wer für den privaten Gebrauch den Kopierschutz umgeht, strafrechtlich belangt wird er deshalb aber nicht. Die Bestrafung wird allein der einen Seite im Rechtsstreit, nämlich der Musikindustrie überlassen, die zivilrechtlich auf Schadenersatz klagen kann, und zwar mit saftigen Forderungen. Und die werden dann auch nur symbolisch an Einzelne verteilt – wie bereits laufende Verfahren in den USA zeigen, gilt das Prinzip Abschreckung vor dem Prinzip der Gleichbehandlung: spektakuläre Millionenforderungen an einzelne Sündenböcke, die die Masse der Kopierfreunde und Filesharing-Nutzer in Zaum halten sollen.

Realitätsfern ist indes bereits die im Kompromiss unterstellte Annahme, es gehe allein um den Ausgleich der Interessen abstrakter „User“ auf der einen und der Medienindustie insgesamt auf der anderen Seite. Längst gibt es professionelle Betreiber von Filesharing-Diensten, denen mit diesem Gesetz kaum das Handwerk gelegt werden kann. Es wäre wohl auch wenig sinnvoll, technische Entwicklungen mit einem provinziellen deutschen Gesetz regeln (oder gar verbieten) zu wollen, noch bevor ihr möglicher wirtschaftlicher Nutzen richtig erkennbar ist.

Recht auf Eigentum

Aufseiten der Industrie melden sich ebenfalls erste Proteste an. So klagen jetzt die Hersteller von Kopiersoftware über drohende Umsatzeinbußen. Die Ulmer Softwareschmiede S.A.D., Vertreiber von CDR-Win oder dem DVD-Ripper „Movie Jack“, hat die Initiative „Copy is right“ (www.copyisright.de) gestartet und angekündigt, vor das Bundesverfassungsgericht zu ziehen. Weil künftig nicht nur das Kopieren selbst, sondern schon der Vertrieb von Geräten oder von Software, die das digitale Überspielen trotz Kopiersperre ermöglichen, untersagt wird, fürchten die Ulmer Programmierer „eine entschädigungslose Enteignung weiter Teile des eigenen Betriebsvermögens“. Und das betrifft Artikel 14 GG: Schutz des Eigentums. Darauf könnten sich vielleicht auch die Gerätehersteller, bislang weitgehend in Übereinstimmung mit dem Gesetzesverfahren, berufen, wenn sie sich plötzlich mit drastischen Umsatzeinbußen konfrontiert sehen und DVD/CD-Brenner oder MP3-Player sich nicht mehr so rasant verkaufen wie bisher. Mit den Gang nach Karlsruhe antreten könnten dann gleich noch die Verleger von Computerzeitschriften. Denn nicht nur der Vertrieb, auch die Werbung für „Umgehungsmaßnahmen“ und die Berichterstattung darüber werden mit der geplanten Gesetzesnovelle untersagt.

Und die Universitätsprofessoren kommen auch noch mit. Denn wer seinem Seminar erklärt, wie ein Kopierschutzmechanismus funktioniert, erklärt zugleich, wie er zu knacken ist: streng verbotenes Wissen. Und das betrifft dann ein ganz anderes Grundrecht: Freiheit der Forschung und der Lehre.

dietmar.kammerer@web.de