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Leben im Fall-out

Alles ist kontaminiert. Das Elektropunk-Duo Mediengruppe Telekommander liefert den Soundtrack zum neuen Medienmisstrauen. Es mag krank aussehen, aber auch Strahlung kann hell leuchten

VON TOBIAS RAPP

Man mag es nicht mehr hören: „Gib mir ein T-Shirt mit Andreas Baader drauf / und einen Catwalk für den Tagtraumdauerlauf / komm, hol auch du dir preisgünstig die Revolution / mit ein, zwei Freibier und Che-Guevara-Kondom.“ Baader hier, Revolution da und Che Guevara sowieso überall. Man mag es aus so vielen Gründen nicht mehr hören, die man vielleicht allesamt in dem Unbehagen zusammenfassen könnte, das einen ergreift, wenn man einen der Chefredakteure der Welt am Sonntag nachts in einem Che-Guevara-T-Shirt durch das Berliner Nachtleben springen sieht. Vielleicht trägt er es sogar zur Redaktionssitzung. Diese Zeichen bedeuten nichts mehr und ihre Träger wissen es auch, oder genauer: Diese Zeichen bedeuten, dass sie nichts mehr bedeuten. Trotzdem funktionieren sie natürlich, und das ist es dann auch, was Mediengruppe Telekommander, ein Berlin-Wiener Elektropunk-Duo, aus deren Stück „Trend“ ebenjene nervigen Zeilen stammen, eben doch so faszinierend macht.

„Die ganze Kraft einer Kultur“ (Mute/EMI) heißt ihr neues Album, und wenn jenes Phänomen, das zu nennen New Economy man sich der Einfachheit halber angewöhnt hat, eine Kernexplosion war – wie es jenes helle Leuchten der Zuversicht, des Wahns, alles sei möglich, der Selbstüberschätzung und die Energie des gnadenlosen Auf-Sendung-Gehens nahe legen –, dann handelt diese Platte vom Leben im radioaktiven Fall-out. Will sagen: Alles ist kontaminiert. Besonders natürlich die Medien, stand die dazugehörige Industrie doch im Epizentrum des auf die Explosion folgenden Bebens.

Mediengruppe Telekommander sind das Sprachrohr eines neuen Medienmisstrauens, was sich genau dort findet, wo die Euphorie einst am größten war: unter den Medienschaffenden. Selbstironie kann man das natürlich auch nennen, vor allem wenn man wie Florian Zwietnig, der einen Hälfte von Telekommander, ehemaliger Konzepter einer Werbeagentur ist. Doch die Art und Weise, wie Telekommander die Medienwelt geißeln und gleichzeitig feiern, wie sie mit klarsichtiger Abneigung auf ihre Umgebung blicken und sie doch auf Spaßpotenziale durchkämmen, ähnelt eher den Schwierigkeiten, denen man ausgesetzt ist, wenn man in sich in einer verstrahlten Umgebung zurechtfinden möchte. Man weiß, dass es einem nicht gut tut, die Sicherheitszone zu verlassen. Man macht es trotzdem, andernfalls würde man vor Langeweile umkommen.

So wird der Lancia-Werbespruch „Die ganze Kraft einer Kultur“ in der vollen Schönheit seiner Krankness als Albumtitel verwurstet oder eben zum tausendsten Mal Andreas Baader aufgerufen.

Mediengruppe Telekommander sind nicht die einzige Band, die ihrer eigenen und der Verstrahlung ihrer Umgebung Musik entlocken. Bands wie Die Türen oder Bierbeben, aber auch der Technoproduzent Christian Kreuz arbeiten auf der gleichen Baustelle. Doch in ihrer wilden Mischung aus No Wave, Punkrock, Elektro und HipHop, die sich aus all diesen Elementen die Spuren des Perkussiven herunterlädt, funktionieren sie am besten. Es mag krank aussehen, doch auch Strahlung leuchtet.

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