: Wattenscheider Herz kaputt
Wattenscheid 09 verliert in Münster und steigt in die Oberliga ab. Die Zukunft der Bochumer Vorstädter ist unsicher. Verträge laufen aus, Geld fehlt, Trainer Hannes Bongartz hat keine Lust mehr
VON HOLGER PAULER
„Das Herz ist kaputt!“. Die Worte von Wattenscheids ewigen Trainer Hannes Bongartz klingen ehrlich und erschütternd. Sein Team hatte soeben das Abstiegsendspiel bei Preußen Münster mit 0:1 verloren – und muss den Gang in die Viertklassigkeit antreten. Der Bochumer Vorort verliert damit das letzte Symbol seiner Eigenständigkeit.
„Was das angerichtet hat, ist noch gar nicht abzusehen“, sagte Präsident Rüdiger Knaup, „da hängen Arbeitsplätze dran.“ Auch Hannes Bongartz war ratlos: „Der Verein war auf die Sache nicht vorbereitet“, sagte er mit belegter Stimme. Etliche Spielerverträge gelten nur für die Regionalliga. Auch Bongartz steht für ein Traineramt in der Oberliga nicht zur Verfügung. Die Zukunft der SG Wattenscheid 09 ist unsicherer denn je.
Auch Preußen-Coach Hans Werner Moors, früher selbst in Wattenscheid, begann zu grübeln. Trotz des unerwarteten Klassenerhalt seines Teams – zuletzt blieb Preußen Münster fünf Spiele ungeschlagen – gingen die ersten Worte an die Adresse des Kollegen: „Mir tut es Leid für Hannes Bongartz, das ist bitter.“
Bitter war auch die Vorstellung der Wattenscheider. Obwohl ein Unentschieden zum Klassenerhalt gereicht hätte, schienen die Spieler nicht mehr an die Chance zu glauben. Nach dem Pausenrückstand durch Martin Hauswald gab es nur ein kurzes Aufbäumen; die Chancen blieben auf Münsteraner Seite. „Wir müssen uns fragen, ob wir alles gegeben haben“, sagte SG-Spieler Danny Thönes nach dem Spiel. Eine Einschätzung, die Hannes Bongartz nicht teilen wollte. „Wir sind nicht im letzten Spiel abgestiegen“, sagte er und stellte sich gewohnt väterlich vor seine Spieler: „Niemand trägt die Schuld allein.“
Vor Wochen sah es nicht so aus, als könne die SG Wattenscheid in Gefahr geraten. Zwar riss der Kontakt zu den Abstiegsrängen während der Saison nie wirklich ab, doch Gedanken ans Scheitern wurden bis zum Schluss verdrängt. Der 3:0-Erfolg am drittletzten Spieltag beim KFC Uerdingen sorgte für Selbstsicherheit. Mit einem Heimsieg gegen Eintracht Braunschweig sollte am vorletzten Spieltag der Klassenerhalt gesichert werden. Die Partie endete 0:2. Enttäuschend, wie die gesamte Spielzeit. „Das war im Grunde ein Siechtum über die ganze Saison“, stellte Rüdiger Knaup fest.
Die einst so heile Wattenscheider Welt ist dabei schon länger aus den Fugen geraten. Vor elf Jahren feierte sich Wattenscheid nach dem Abstieg des VfL noch stolz als Bochums Nummer eins – obwohl man mit der Stadt seit der Eingemeindung von 1975 nichts zu tun haben wollte. Vor allem zuschauermäßig hoffte der Verein von der sportlichen Ausnahmesituation zu profitieren. Vergebens.
Seit Mitte der 90er pendelt der Verein zwischen zweiter und dritter Liga. Tendenz negativ. Der langjährige Mäzen Klaus Steilmann zog sich zurück – auch wegen finanzieller Problem in seinem Konzern. Nach zwei verpassten Aufstiegen rutschte das Team in der laufenden Saison in den Regionalliga-Keller. Auch die Finanzen bröckelten. Eine sportliche Kooperation mit dem FC Schalke 04 sollte die Rettung bringen. Doch auch der Versuch scheiterte. Zuletzt sackten die Zuschauerzahlen in den dreistelligen Bereich. Am Samstag begleiteten nur noch 250 Hartgesottene ihr Team in den Untergang. Was sie sahen brachte Co-Trainer Peter Kunkel auf den Punkt: „Das war die schlechteste Wattenscheider Mannschaft in 95 Jahren.“ Das 100. Jubiläum, sollte es dazu kommen, könnte ein trauriges werden.
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