Laues Verdrängungsspektakel

Jan Lauwers‘ Needcompany mit der Laboratorium-Fassung seines neuen Stücks „Isabella‘s Room“ am Schauspielhaus

von Katrin Jäger

Needlapb sei noch kein fertiges Stück, sondern eine „advanced Lecture,“ warnt der belgische Regisseur Jan Lauwers. Die Schauspieler lesen also ihren Text ab, während sie spielen. Uraufführen wird die Needcompany ihr Musical Isabella‘s Room am 4. Juli in Avignon.

Bis dahin gibt es noch viel zu tun, denn die Geschichte, jedenfalls in dem Werkstattstadium, das jetzt im Schauspielhaus zu sehen war, wirkt flach. An einer langen Tafel sitzt das Ensemble. Vor ihm liegen ethnologische Gegenstände vom Helm einer antiken Ritterrüstung über afrikanische Masken bis zu einem menschenhohen Stoßzahn. Isabella (Viviane de Muynck) trohnt in der Mitte, eine schwarze Brille ins Gesicht gepflanzt. Isabella, so erklärt der Regisseur, ist blind. Eine boße Behauptung, denn Isabella sieht genau, wie die anderen um sie herum tanzen und singen. Singen? Nein, grölen, zu monotoner Synthesizer-Musik.

Selbstverliebt und dennoch leidenschaftslos garnieren sie Isabellas Geschichte, die keine ist. Denn sie besteht aus Jahreszahlen, wie aus dem Brockhaus zitiert. Sie zu verkünden ist die Aufgabe eines jungen Mannes mit nacktem Oberkörper, in langer Hose mit einem Röckchen darüber, so wie das gerade modern ist in der Girlie-Welt. Er soll die erogene Zone von Isabellas Liebhaber Alexander sein, verkündet der Regisseur. Doch der junge Mann hat eher den Sex-Appeal eines gewissenhaften Sparkassen-Azubis.

Isabellas tabellarischer Lebenslauf besteht aus der Aneinanderrreihung tragischer Lebensumstände, Skurrilitäten und Tabubrüche: Die einsame Kindheit im Leuchtturm mit einem alkoholkranken Vater und einer depressiven Mutter. Isabellas Besessenheit von Afrika. Isabellas Verständnis der Unabhängigkeit vom Mann: Sie kauft sich einen Schwarzen und lässt sich schwängern. Im Alter: ihr sexuelles Verhältnis zu ihrem Enkel Frank. Dessen Tod in Afrika. Ihren ersten Lover, den verheirateten Alexander, trifft sie in einem Pariser Intellektuellenbuchladen. Sie lernen sich lieben, weil er sie beinahe erschießt.

In jedem dieser Ausnahmezustände steckt zweifelsohne gesellschaftlicher und emotionaler Sprengstoff. Der Regisseur und Stückautor Autor Jan Lauwers vermeidet es jedoch, diese Stoffe zu entwickeln. Jedes Ereignis wirft er dem Zuschauer in Ein-Satz-Manier an den Kopf, geschmückt mit kontaktimprovisierenden Ensemblemitgliedern und einem dünnen Lied. Dann Bruch und Übergang zum nächsten Knallerereignis.

Mit diesem Eiltempo vermeidet das Stück die ernsthafte Auseinandersetzung mit den angerissenen Konflikten. Es macht dafür textimmanent seine eigene Protagonistin verantwortlich. Als Isabella nämlich nach dem Tod ihrer Eltern erfährt, dass ihr Vater der Vergewaltiger ihrer Mutter Anna war, reagiert Isabella cool: „Ich lebe an der Oberfläche. Das Innere macht mir Angst.“ Und ihre ultimative Erkenntnis aus dem zwei Stunden dauernden Verdrängungsspektakel: „Felix bedeutet Glück in einer toten Sprache“, nämlich Latein. Den Schlüssel zu diesem Ausspruch liefert Lauwers in jener Zeile, die er schließlich an die Rückwand der Bühne beamen lässt: „Gewidmet Felix Lauwers, 1924–2002.“ Felix Lauwers ist der Vater des Regisseurs und hat die hier aufgebahrte Sammlung aus Nagelfetischen, schamanischen Reibbrettern und anderen Ethno-Objekten hinterlassen. Das ist die eigentliche Geschichte, die Jan Lauwers nicht erzählt: Die vom verlorenen Vater, vom trauernden Sohn und vom Weiterleben als Stoßzahn.