Verfemte rehabilitiert

Bibliothekar Paul Raabe präsentiert in der Stabi seinen jüngst erschienenen Band„Mein expressionistisches Jahrzehnt“ über seine Anfänge im Marbacher Literaturarchiv

Sie wirken im Verborgenen, sind angeblich erbsenzählerisch veranlagt und den größten Teil der Zeit mit Sortieren anhand kryptischer Kriterien beschäftigt: Bibliothekare, die durch ihre Kauf- und Sammelentscheidungen eher unauffällig Bestände prägen und – auch wenn es vordergründig nicht so aussieht – Nutzerbedürfnisse, thematische und atmosphärische Strömungen bei der Schwerpunktsetzung berücksichtigen.

Trotzdem: So stark wie Paul Raabe, der jetzt in der Staats- und Universitätsbibliothek aus seinem jüngst erschienenen Band Mein expressionistisches Jahrzehnt – Anfänge in Marbach liest, haben nur wenige Bibliothekare ihre Wirkungsstätte prägen können; vielleicht liegt es auch an der Ära, in der Raabe in Marbach am Neckar begann: Von 1958 bis 1968 wirkte der 1927 in Oldenburg geborene Literaturwissenschaftler maßgeblich am Aufbau der dortigen Sammlung des inzwischen wichtigsten deutschen Literaturarchivs mit.

Der Wiederentdeckung der unter den Nazis verfemten Literatur des Expressionismus galt dabei sein spezielles Augenmerk – eine damals dringend notwendige Rehabliltierung jener Literaten, von denen Raabe viele selbst kannte: Kurt Pinthus und Max Brod, Kurt Hiller und Claire Goll hat er getroffen, hat in New York, Prag, Israel und Berlin recherchiert und das Erfahrene in dem Band festgehalten, aus dem er morgen liest.

Am öffentlichkeistwirksamsten manifestierten sich seine Forschungen übrigens in der viel gerühmten Expressionismus-Ausstellung von 1960, auf die Raabe, der später die Herzog August Bibliothek in Wolfenbüttel und seit 1992 die Franckeschen Stiftungen in Halle leitet, in dem Band ebenfalls eingeht. PS

morgen, 18 Uhr, Stabi, Von-Melle-Park 3, Vortragsraum, 1. Stock