spargel-ralle von RALF SOTSCHECK
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Manche Menschen werden aus Schaden klug. Ich gehöre nicht dazu. Voriges Jahr bat mich ein Freund, 66 Kilogramm Wurstwaren vom Dubliner Flughafen abzuholen und zu ihm an die irische Westküste zu transportieren. Nach dreimaligem Versuch, zähen Verhandlungen mit dem Landwirtschaftsministerium und der Zahlung von immensen Lagerkosten war ich gegen meinen Willen als Wursthändler registriert, was mir in meiner Bekanntschaft den Spitznamen „Wurst-Ralle“ einbrachte. Da gelobte ich, fortan jegliches Ansinnen weiterer Lebensmitteltransporte abzulehnen.

War es das ungewöhnlich schwüle Wetter, das mich rückfällig werden ließ? Jedenfalls willigte ich überraschend schnell ein, 50 Kilogramm Spargel, die vorigen Donnerstag aus Berlin nach Dublin angeliefert werden sollten, zu Dirk und Hella in den Westen der Grünen Insel zu expedieren, weil es in Irland keinen weißen Spargel gibt. Es kam, wie es kommen musste. Der Frachtabfertiger lächelte freundlich, nannte mich ständig „Sir“ und fragte, ob ich nicht gehört habe, was an dem Morgen in London los gewesen sei? Ich wusste zwar, dass der Computer der Flugkontrolle abgestürzt war, aber was hatte das mit mir zu tun?

„Die Maschine aus Berlin muss den englischen Luftraum durchqueren“, erteilte er mir eine Geografie-Lektion, „aber sie hat zum Glück nur zwei Stunden Verspätung.“ Glück? Ich sollte inzwischen in den zweiten Stock zur Zollabfertigung. Ich nahm den Aufzug. Er blieb auf halbem Weg stecken, das Licht ging aus. Wenigstens hatte ich aus vergangenen Raucherzeiten noch immer ein Feuerzeug in der Tasche und fand den Notrufschalter. Es war eine Attrappe. Wenn der Fahrstuhl nun abstürzen würde? Sollte ich meine Schuhe ausziehen und eine embryonale Position einnehmen, wie man es aus Flugzeugkatastrophenfilmen kennt? Nach ein paar Minuten, die mir wie ein paar Stunden vorkamen, fuhr der Aufzug weiter, als ob nichts geschehen sei.

Der Zollbeamte fragte mich, nachdem er meine Frachtpapiere geprüft hatte: „Spargel? Hat das etwas mit Landwirtschaft zu tun?“ Eine interessante Frage, entgegnete ich, aber ich könne sie nicht beantworten, da ich Städter sei. Zur Sicherheit rief er seinen Chef an: „Geht uns Spargel etwas an? Nein? Habe ich mir gedacht.“ Glaubt man beim irischen Zoll, dass Spargel so ähnlich wie Spaghetti auf die Welt kommt? Jedenfalls hätte ich mir den Weg zu ihm sparen können, meinte er und fragte: „Hat Sie ein Mann hochgeschickt, der freundlich lächelt und ständig Sir sagt? Man nennt ihn im Kollegenkreis Gaius Faulus, weil er die Kundschaft stets abzuwimmeln versucht.“ Da ich aber nun schon mal da sei, müsse ich 60 Euro Bearbeitungsgebühr zahlen. Dann schickte er mich zurück zu Gaius Faulus. Der ignorierte meinen vorwurfsvollen Ton und erklärte mir lächelnd, dass die Maschine aus Berlin gelandet sei. In einer Stunde könne ich die Ware in Empfang nehmen. Es wurden zwei Stunden.

Ich habe jetzt einen neuen Spitznamen: Spargel-Ralle, was kaum besser ist als Wurst-Ralle. Ich überlasse es lieber denjenigen, die mich kennen, zu entscheiden, welcher Name besser zu meiner Figur passt.