Er erfand den Konservatismus

Unter Ronald Reagan wurde in den USA wieder gebetet, das Militär geehrt, gelernt und gearbeitet. Und der Kommunismus bekämpft

Zwei Schauplätze boten sich an, um Moskau die Stirn zu bieten: Zentralamerika und Afghanistan

VON STEFAN SCHAAF

31.404.169 Wahlberechtigte der Vereinigten Staaten gaben dem ehemaligen Schauspieler und Gouverneur Ronald Wilson Reagan am 4. November 1980 ihre Stimme. Das war eigentlich nur jeder siebte Bewohner des Landes, dem er zwei Amtszeiten lang seinen Stempel aufdrückte.

Aber in diesen acht Jahren legte er die Basis für einen offensiven, ideologisch begründeten und nach vorne gerichteten Konservatismus, der bis dahin weder in den USA noch anderswo mehrheitsfähig war. Heute ist die Mischung aus militärischer Stärke, einem Zurückdrängen der gesellschaftlichen Rolle des Staates, sozialer Kälte und einer Ideologisierung der politischen Debatte in den Mainstream der Politik vieler Länder gerückt. Oft wurde sie mit einer Verschärfung der sozialen Gegensätze erkauft und mit einer Militarisierung der Politik. Die Friedensdividende, von der Anfang der 90er-Jahre nach dem Ende des Kalten Krieges viel die Rede war, wurde inzwischen einkassiert. Einen Erdrutsch nannte man 1980 fälschlicherweise Reagans Wahlsieg über den glücklosen Jimmy Carter, der an der lahmenden Konjunktur und der Demütigung scheiterte, die Irans Ajatollah Chomeini den USA ein Jahr zuvor mit der Stürmung der US-Botschaft in Teheran zugefügt hatte. Erst am Tag von Reagans Amtsantritt, dem 20. Januar 1981, wurden die letzten der 52 Geiseln aus der US-Vertretung freigelassen.

Lange wurde in den USA darüber gerätselt und debattiert, ob es wohl Zufall war, dass die Gespräche zwischen Teheran und der Carter-Administration wenige Tage vor der Präsidentschaftswahl unvermutet von Irans Seite abgebrochen worden waren. Nun wurde die Freilassung der Geiseln mit dem neuen Präsidenten gefeiert. Feiern und bewundern ließ sich Reagan gerne – als jemand, der Stärke und Ansehen der USA in der Welt wieder hergestellt hatte, der den sowjetischen Expansionismus in die Schranken wies, der deutlich gemacht hatte, dass der Kommunismus weltweit ein Auslaufmodell war. Auch den Fall der Mauer hielt man ihm zugute, obwohl dies eher an Gorbatschow und dem Aufbegehren Osteuropas lag.

Reagan wurde der Feldherr des konservativen und religiösen Kreuzzuges gegen den kulturellen Liberalismus der 60er-Jahre, gegen die Errungenschaften der schwarzen Bürgerrechtsbewegung, der Frauen, der Jugend und der Pazifisten. Unter Reagan wurde wieder gebetet, das Militär geehrt, gelernt und gearbeitet. So jedenfalls der schöne Schein, den das konservative Establishment unter hörbarem Aufatmen für die Realität hielt. Genüsslich goutierte man in den luxuriösen, durch hohen Mauern von der Außenwelt abgeschlossenen Villensiedlungen von Palm Beach bis Long Island die sorgsam inszenierten Auftritte des Präsidenten, die schönen Worte vor wehenden Sternenbannern.

In lange Zeit am Rande des politischen Spektrums werkelnden, aber großzügig finanzierten Denkfabriken wie der Hoover Institution im kalifornischen Stanford oder dem American Enterprise Institute und der Heritage Foundation in Washington wähnte man sich bereits am Beginn der großen konservativen Revolution. Abtreibung wurde endlich wieder verboten, das Schulgebet eingeführt, die Bevorzugung der Schwarzen bei der Ausbildung oder Vergabe öffentlicher Aufträge beendet, die Jugend christlich erzogen und Verbrecher wurden hart bestraft.

Dazu gesellten sich in Reagans konservativer Koalition die Vorbeter eines entfesselten Kapitalismus um Milton Friedman. Sie propagierten wie die britische Premierministerin Margaret Thatcher eine radikale Wirtschaftspolitik, die den Einfluss des Staates begrenzen und die Fesseln der Wirtschaft lösen wollte. Gelegentlich wurde deutlich, was gemeint war: Ronald Reagan predigte den Begriff der „trickle-down economics“, eine Theorie, die besagte, dass zwangsläufig auch zu den Armen etwas herabtröpfle, wenn man die Reichen nur richtig reich werden lasse.

Es war ein eigenartiges Bündnis, das sich da hinter der Fahne des Präsidenten vereint hatte und von seinem Beharren auf einer Politik der schlichten Formeln zusammengehalten wurde: fundamentalistische Prediger, die die Bibel wortwörtlich nahmen und das Ende der Welt im flammenden Inferno von Armageddon erwarteten, Ökonomen, die von ihrer Zunft Jahrzehnte lang für Spinner gehalten worden waren, und schließlich Globalstrategen, die die konkurrierende Supermacht, die Sowjetunion, nach fast vier Jahrzehnten des Kalten Krieges endlich in die Knie zwingen und als Bedrohung ausschalten wollten.

Auf drei Ebenen sollte dies geschehen: durch nukleare Aufrüstung, durch Errichtung eines undurchdringlichen Schutzschildes im Weltraum und schließlich durch Zurückdrängung des sowjetischen Einflusses in der Dritten Welt. Zwei Schauplätze boten sich an, um Moskau die Stirn zu bieten: Zentralamerika und Afghanistan. Während die US-Strategie, in Nicaragua eine skrupellose Rebellenarmee aufzubauen, auch in den Vereinigten Staaten selbst vehement kritisiert und bekämpft wurde, blieb die wesentlich umfangreichere militärische Aufrüstung der islamischen Gotteskrieger in Afghanistan unumstritten. Etliche Milliarden Dollar des Geheimdienstes CIA flossen über Pakistan an fundamentalistische afghanische Gruppierungen, die politisch mit den USA und Demokratie nicht das Geringste gemein hatten und die in den Folgejahren das Fundament des islamistischen Terrorismus bildeten. Der damalige Hilfsempfänger Gulbuddin Hekmatjar, der Kopf der islamistischen Hisb-i-Islami, steht heute auf der Fahndungsliste der US-Truppen in Afghanistan direkt hinter Ussama Bin Laden und Taliban-Chef Mullah Omar.

In Nicaragua aber legten Reagans Leute den Grundstein für die bittere Schlussphase der Reagan-Präsidentschaft, den Iran-Contra-Skandal. Immer wieder hatte der Kongress die Finanzierung der Rebellen unterbunden, da ihr Vorgehen völkerrechtlich bedenklich und ihre politische Legitimation fragwürdig blieb. Da half es nicht, dass Reagan sie in einer seiner denkwürdigeren Reden mit den Gründungsvätern der USA gleichgesetzt hatte. Schließlich entstand im Weißen Haus der Plan, die Geldmittel für die Contras aus anderen Quellen, über die der Kongress keine Kontrolle hatte, aufzutreiben.

Eine der am sorgfältigsten gehüteten Geheimaktionen der CIA musste dazu herhalten: Die USA hatten über Israel und private Waffenhändler Raketen an den Iran geliefert, um auf diese Weise die Freilassung mehrerer Amerikaner zu erkaufen, die im Libanon von iranfreundlichen Milizen gefangen gehalten wurden.

Dass die Aktionen im Nahen Osten und in Zentralamerika zusammenhingen, wussten auch im Weißen Haus nur ganz wenige, darunter der forsche Oberstleutnant Oliver North, ein Mitarbeiter im Stab des Nationalen Sicherheitsrats. Als die Geschichte aufflog, weil eine libanesische Zeitung im Oktober 1986 darüber schrieb und in Nicaragua der Pilot eines Waffentransportflugzeugs, der Amerikaner Eugene Hasenfus, von sandinistischen Soldaten abgeschossen und gefangen genommen wurde, fragten bald Medien und Kongressabgeordnete, was Ronald Reagan selbst darüber wusste. Offenbar tatsächlich so wenig, wie er damals zu wissen zugab, lässt sich heute sagen. Aber Reagans Pressekonferenzen wurden zum medialen Desaster, verwirrt und unbeholfen reagierte der damals 76-Jährige auf Fragen, wenn es kein Skript gab.

Reagan verließ das Amt mit einem dunklen Schatten über seinem Image. Diverse Memoiren seiner Mitarbeiter zeichneten ein ungeschminkteres Bild seiner Amtszeit, schließlich musste seine Ehefrau Nancy Reagan einräumen, dass Astrologen den Terminplan des Präsidenten bestimmt hatten. Reagan erwarb sich erst ein Stück des Respekts zurück, als er sich vor knapp zehn Jahren mit einem offenen und anrührenden Eingeständnis seiner Alzheimer-Erkrankung aus der Öffentlichkeit verabschiedete.