Der Antisemitismus wird wieder salonfähig

Jüdische Gemeinden in Nordrhein-Westfalen klagen über zunehmende Gewalt – und „antiisraelische Medienberichte“

MÜNSTER/KÖLN taz ■ Jeder fünfte Deutsche hegt antisemitische Vorurteile. Außerdem steigt die Gewalt gegen die jüdische Bevölkerung Deutschlands: Grabschändungen hätten zugenommen, so der Sozialwissenschaftler und Politologe Armin Pfahl-Traughber. Pfahl-Traughber arbeitet als wissenschaftlicher Mitarbeiter und Referatsleiter beim Bundesamt für Verfassungsschutz in Köln.

In Nordrhein-Westfalen leben derzeit etwa 27.000 Juden. Der Landesverband jüdischer Gemeinden vom Nordrhein klagt ebenfalls über mangelnde Akzeptanz: „Ein Nachbar kommentierte die Umbauarbeiten an unserem Gemeindehaus mit den Worten: Man sollte euch alle nach Gaza schicken“, erzählt Geschäftsführer Herbert Rubinstein. „In Schulen kommt es häufig zu Pöbeleien, besonders zwischen muslimischen und jüdischen Schülern.“ Eine Ursache für die ansteigenden Vorurteile sieht Rubinstein in der seiner Meinung nach „sehr einseitigen antiisraelischen Berichterstattung“ vieler Medien. „So werden die deutschen Juden immer gleichgesetzt mit der israelischen Bevölkerung und deren Politik“, meint Rubinstein.

Auch die Grabschändungen seien zumeist aus einem politischen Antisemitismus heraus motiviert: „Die Leute wollen uns Juden verletzten und so attackieren sie Gräber, denn die Toten können sich nicht wehren.“ Alle Vorfälle könnten aber nicht auf den Antisemitismus der Täter zurückgeführt werden – ein Teil der Delikte entstehe auch aus puren Vandalismus.

Nach Angaben des Landeskriminalamtes wurden in NRW im Jahr 2003 insgesamt 184 antisemitische Straftaten gemeldet. Diese reichen von Sachbeschädigung über Körperverletzung bis hin zu Volksverhetzung. „Diese Zahlen sind aber auf die Täter zu beziehen. Die Opfer waren nicht immer jüdischer Abstammung“, sagt Frank Scheulen, Sprecher vom Landeskriminalamt NRW. Außerdem würden antisemitische Beschimpfungen von vielen noch immer unüberlegt im Alltag verwendet – selbst wenn Juden nicht direkt diskriminiert werden sollen.

Auch das Bundesamt für Verfassungsschutz geht in seinem Jahresbericht von 2003 auf das Problem ein. Neben der offenen Agitation und Hetze gegen Juden – vorwiegend aus der Skinhead- und Neonazi-Szene – habe sich ein Antisemitismus der Andeutungen entwickelt: „Er spekuliert auf ein antisemitisches Einstellungspotenzial in der Bevölkerung und versucht hier Einfluss zu gewinnen.“ FRIEDERIKE FAUST