Innovationsverhinderungsgipfel

Wenn der VW-Chef den Autokanzler trifft, droht Übles: Denn die deutsche Industrie will die wichtige Steuerförderung von Dieselrußfiltern aufschieben

AUS BERLIN MATTHIAS URBACH

Ab dem kommenden Jahr haben viele Kommunen ein Problem. Dann tritt eine Richtlinie der EU zur Luftqualität in Kraft, die neue Grenzwerte für die Schadstoffe in der Luft vorschreibt. Der festgelegte Grenzwert für Partikel wie Dieselruß etwa darf dann nur noch an 35 Tagen im Jahr überschritten werden. Dumm nur, dass das vielerorts sehr viel häufiger geschieht: In Berlin etwa 2003 allein an zehn Messstellen. An der Stadtautobahn in Berlin-Wilmersdorf wurde der Wert an 117 Tagen überschritten – mit stark steigender Tendenz.

Eine Ursache dafür sind die rasant steigenden Zulassungszahlen für Diesel-Pkws. Und hier wird das Problem zu einem Problem der Bundesregierung. Sie muss nämlich dafür sorgen, dass EU-Recht eingehalten wird – und gegebenenfalls Strafe an Brüssel zahlen. Um die Bundesbürger vor den wachsenden Mengen von Rußpartikeln zu schützen, will Umweltminister Jürgen Trittin den Dieselrußfilter steuerlich fördern – und Autofahrern 600 Euro von der Kfz-Steuer erlassen, die ihren Wagen mit dem Filter kaufen oder selbst nachrüsten. Gleichzeitig will er ab 2010 Abgasgrenzwerte durchsetzen, die heute nur mit Rußfiltern zu erreichen wären.

Doch mit dieser Forderung hat sich Trittin in der Bundesregierung offenbar isoliert. Wirtschaftsminister Wolfgang Clement (SPD) drückte die Stimmung aus, indem er gestern erklärte, man müsse in einer Situation, in der man einen Aufschwung brauche, die Position der eigenen Industrie stärken. Auch das Finanzministerium gab sich vorab kritisch. Und im Kanzleramt sprach man davon, dass ein steuerlicher Anreiz für den Rußfilter einer „Quersubventionierung der französischen Industrie“ gleichkomme.

Entsprechend offen waren dann gestern Nachmittag die Ohren des Kanzlers, als VW-Chef Bernd Pischetsrieder in seiner Funktion als Präsident des Europäischen Autoindustrieverbandes ACEA bei ihm vorsprach. Eigentlich ein ganz gewöhnliches Branchentreffen, das aber zu einem Innovationsverhinderungsgipfel auf Kosten des Rußfilters wurde. Denn Pischetsrieder überzeugte Schröder offensichtlich davon, dass Deutschland den Rußfilter nicht im Alleingang steuerlich fördern solle. Erst wenn die neue Abgasnorm Euro 5 von der Kommission beschlossen ist, solle auf deren Grundlage eine steuerliche Förderung für solche Autos vorgenommen werden, die Euro 5 schon vor dem Inkrafttreten 2010 erfüllen können. Das hielten Kanzleramt und Autolobby am Ende des Gespräches im Kanzleramt fest.

Regierungssprecher Béla Anda hatte schon im Voraus die Beweggründe des Kanzlers offen gelegt. Die deutsche Autoindustrie habe bereits viel Geld in „innermotorische Lösungen“ investiert, um den Rußausstoß zu verringern. Nur, dass VW bislang mit „innermotorischen Lösungen“ das Dieselrußproblem viel schlechter bewältigt als die Rußfilter, die die französische Konkurrenz in ihre Dieselmodelle einbaut. Die mindern den Ausstoß um 99 Prozent – und unterschreiten leicht die von Trittin, den Grünen und SPD-Umweltpolitikern angestrebten Grenzwert von 2,5 Milligramm pro gefahrenem Kilometer für die Abgasnorm Euro 5, die spätestens 2010 in Kraft treten soll. Pischetsrieder hingegen wirbt für einen vier- bis fünfmal höheren Grenzwert. Den hofft er dann „innermotorisch“, also allein mit Verbesserungen des Motors und ohne Filter erreichen zu können. Auf einen Grenzwert verständigten sich beiden Seiten gestern – zumindest offiziell – nicht.

Die Diskrepanz zwischen den verschiedenen Grenzwerten ist höher, als es aussieht. Nach Einschätzung von Gerd Lottsiepen vom Verkehrsclub Deutschland entspräche der höhere Grenzwert etwa der „tausendfachen Menge an Rußpartikeln“. Und die Giftigkeit des Rußes beruht eben nicht auf dem Gewicht des eingeatmeten Rußes, sondern allein auf der Menge: Gerade die besonders feinen Partikel sind dabei das Problem, weil sie weit ins Lungengewebe hineingelangen.

Angesichts der von der EU vorgegebenen Luftqualitätsziele schließe sich ein Kreis, meint Stefan Bundscherer vom Umweltverband BUND: „Wenn die Bundesregierung ein Anreizsystem für Dieselrußfilter verweigert“, prophezeit Bundscherer, „wird sie die Kommunen zwingen, drastische Maßnahmen gegen Dieselfahrzeuge ohne Filter in den Städten zu beschließen.“ Neben Tempolimits und Park-and-Ride könnten dazu an Brennpunkten auch Fahrverbote für ungefilterte Diesel-Pkws gehören. „Die Zahl der zur Verfügung stehenden Maßnahmen ist sehr begrenzt.“

Im Vorfeld des gestrigen Treffens hatten Grüne wie SPD-Politiker den Kanzler gebeten, gegenüber Pischetsrieder keine festen Zusagen zu machen – offenbar vergebens. Der Spielraum für die Fraktionen ist nun sehr gering geworden. Derzeit liegt im Bundestag ein Antrag von Umweltpolitikern vor, der Trittins Linie entspricht. Die SPD-Fraktion will darüber am Dienstag in einer Woche entscheiden. Eigentlich schien eine Zustimmung schon klar gewesen zu sein, bis Pischetsrieder in einem Brief an SPD-Fraktionschef Franz Müntefering intervenierte.

Einer der Autoren des Antrags ist der umweltpolitische Sprecher der Grünen Winfried Hermann. „Ich hoffe sehr, dass die SPD an dem Antrag festhält – und sich nicht als verlängerter Arm des VW-Konzerns darstellt.“ Schließlich ginge es um die Gesundheit auch der SPD-Wähler.

Auch Umweltpolitiker der SPD hatten noch einmal für den Antrag stark gemacht. „Wir schließen ja eine innermotorische Lösung nicht aus, aber die kommt ja nicht in wenigen Jahren“, sagt etwa die umweltpolitische Sprecherin der Fraktion, Ulrike Mehl. Bis dahin sei es richtig, den Rußfilter steuerlich zu fördern. Und einen Grenzwert von 2,5 Milligramm vorzugeben.