Lebkuchen backen mit EU-Eiern

taz-Serie „Europa in Berlin“: Brüssel ist weit, doch die EU finden Sie auch in Ihrem Kiez wieder. In Lichtenberg sorgt Fördergeld zum Beispiel dafür, dass Bürgersteige (fast) hundekotfrei bleiben

VON VERONIKA NICKEL

„Da soll mal Kunst hin“, sagt eine Anwohnerin und deutet stumm auf den Bahndamm vor sich, weil Erklärungen im Lärm untergehen würden. Über die Unterführung donnert eine S-Bahn, unten rumpeln Autos über das Kopfsteinpflaster. Das triste Eisengestänge soll dank einer Lichtinstallation bald farbig leuchten. Nicht nur hier, sondern an fünf Bahndämmen, die die Victoriastadt wie eine Insel inmitten Berlins abschirmen.

Das Kunstprojekt ist nur eine von vielen Veränderungen rund um das Ostkreuz mit EU-Beteiligung. Vor der Europawahl am Sonntag erzählt die taz in der kleinen Serie „Europa in Berlin“ Geschichten von Projekten, die ohne die Europäische Union nicht möglich wären.

Die Fördermaßnahme, die den Auftakt bildet und Teile Friedrichshains und Lichtenbergs verschönern soll, trägt den Namen URBAN II. Neben der Victoriastadt kommen noch die Gebiete Frankfurter Allee Süd, Weitlingstraße und der Stralauer Kiez in den Genuss des EU-Geldes. 20 Millionen Euro stehen innerhalb von vier Jahren zur Verfügung. 5 Millionen davon muss das Land beisteuern. Seit vorigem Jahr gibt es daneben in diesem Gebiet einen besonderen Fördertopf: Im „kleinen Urbanfonds“ stehen den Anwohnern pro Jahr 50.000 Euro für Projekte zur Verfügung.

Verbesserung des Kiezlebens – dazu gehört in der Victoriastadt der Kampf gegen den Hundekot. Nachdem eine Umfrage unter Anwohnern ergeben hatte, dass sich viele über die Verunreinigung ärgern, organisierte die Sozialdiakonische Jugendarbeit in Lichtenberg mehrere Behälter mit Plastiktüten zur Beseitigung der Hinterlassenschaften. Für die Tüten beantragte man einen Zuschuss aus dem EU-Fonds und erhielt 900 Euro.

Die grünen Kästen mit der Aufschrift „Dog Station“ werden von ortsansässigen Gewerbetreibenden „betreut“. Im Klartext heißt das, dass sie sich um den Nachschub kümmern sollen. „Damit es nicht auch noch von mir gemacht wird“, sagt Monika Kießig, die sich bei der Jugendarbeit um Stadtteilarbeit kümmert. Die Eigenverantwortlichkeit funktioniert nur bedingt: Zwei der drei Behälter sind leer.

Das Spektrum der geförderten Anwohnerprojekte reicht vom Lebkuchenwettbewerb bis zu einer Gedenktafel für Dompropst Bernhard Lichtenberg. 50 Anträge wurden 2003 gestellt, 26 bewilligt. Im Vor-Ort-Büro, der Anlaufstelle für die Anwohner in Sachen „kleiner Urbanfonds“, ist man mit dem Ergebnis zufrieden. Dort wehrt man sich nur gegen „Berufsantragsteller“. Gemeint sind Initiativen, die beispielsweise immer wieder Deutschkurse für Migranten gefördert haben wollen. Stefanie Kirchner von der Arbeitsgemeinschaft „Wohnstatt + Machleidt“ muss diese jedoch ablehnen: „Wir können so etwas nicht finanzieren – wir machen schließlich keine Regelförderung.“

Über die Anträge entscheidet ein Bürgerbeirat. Kein gewähltes Gremium, „aber ganz demokratisch“, wie der Vorsitzende Martin Jackisch bekräftigt. Der ehemalige Philosophieprofessor gehört zu den 100 Anwohnern, die per Zufall angeschrieben und um Mitarbeit im Bürgerbeirat gebeten wurden. Inzwischen hat sich die Zahl auf „etwa 4 bis 5 pro Gebiet“ eingependelt.

Verschwendung von Fördergeld kann man dem Bürgerbeirat tatsächlich nicht bescheinigen. Die zwei Straßenfeste, die es bisher in der Victoriastadt gegeben hat, werden zusammengelegt, nachdem man den Veranstaltern mit der Streichung aller Zuschüsse gedroht hatte. 11.000 Euro blieben im vergangenen Jahr übrig. Wo der Überschuss bleibt, ist unklar: Während der Vorsitzende des Bürgerbeirats glaubt, dass sie „verfallen“ sind, spricht Knut Henkel von der Stadtentwicklungsverwaltung davon, dass sie „noch im Topf vorhanden“ sind.