Gefakte Mitmachzukunft für Jugendliche

Auf dem großen Futur-Kongreß des Bundesbildungsministeriums in Berlin finden sich zwei Gruppen Jugendlicher. Die Mitmacher, die glauben, dass die PolitikerInnen sie ehrlich an der Lösung der Zukunftsfragen beteiligen. Und die Skeptiker, die das alles als zu langsam und zu sehr vorgespielt sehen

„Kids, die keine Lust auf die komplizierte Konsensfindung der Demokratie haben“

von ANNA LEHMANN
und CHRISTIAN FÜLLER

Nabila Frabelsi findet’s cool. Sie hat ihre gelbe Basecap tief ins Gesicht gezogen. M.J. steht drauf. So wippt sie sich nach vorne, um ihr Mindmap-Kärtchen abzugeben. Hey, in 20 Jahren müssen wir die Macht haben! Das ist ihre Botschaft. Man sieht es, bevor sie auch nur einen Ton rausgelassen hat. Die 16-Jährige sagt: „In Städten sollten Meetings veranstaltet werden. So Versammlungen meine ich. Damit auch Jugendliche mal ganz vorne stehen und was sagen dürfen. In jeder Stadt.“

Dann drückt sie Nikolaus Röttger ihr Kärtchen in die Hand. Der junge Reporter von der Süddeutschen moderiert den Workshop „Einmischen erwünscht! – neue Formen des Regierens“. Aber jetzt ist gleich Mittagspause. „Wir sollten nachher unbedingt da weitermachen“, deutet Röttger auf die Brainstorming-Tafel. „Denn Innovationen sind ja noch nicht so viel gekommen.“ Dann verschwinden die Kids. Hoffentlich kommen sie wieder.

Jugendliche sind beliebt bei Politikern. Sie transportieren Frische, Zukunft und Kreativität. Mit ihnen zusammen lassen sich Themen prima als nachhaltig und modern verkaufen. Klar, dass Jugendliche auch bei der Innovationsoffensive der Bundesregierung zum Zuge kommen. Junge Menschen von 16 bis 26 waren gestern zum Futur-Kongress des Forschungsministeriums nach Berlin geladen. Sie sollten ihre Vorstellungen für das Deutschland in 16 Jahren im Gespräch mit Politikern und Wissenschaftlern darlegen. „Das soll keine Alibiveranstaltung und keine Seifenblase sein“, wies Bildungsministerin Edelgard Bulmahn die Befürchtungen zurück, die derartige Veranstaltungen wachrufen.

Mit ihrem Motto „Heute schon das Morgen denken“ waren die Kampagnenstrategen des Forschungsministeriums nicht immer auf der Höhe Zeit. „Heute nicht nur denken, sondern auch handeln“, forderte der angehende Student Fabian Johr vom Podium. Er erntete dafür ehrlichen Applaus. Eine halbstündige Podiumsdiskussion mit prominenten Politikern gehörte ebenso zum Repertoire wie Kreativworkshops mit Namen wie „Die Zukunft des Gummibärchens“. Das alles hatte häufig den Charme von Uni-Seminaren und Diskussionsrunden, in denen jeder mal rauslässt, was alles Mist ist.

Die Grünen-Abgeordnete und Exgesundheitsministerin Andrea Fischer leitete ein gefaktes Parlament. Jugendliche fanden sich mit Abgeordneten in Ausschüssen zusammen. Dem Häuflein Hobby-Parlamentarier erklärte Fischer im Stile einer Grundschullehrerin, wie ganz doll kompliziert es im Bundestag zugeht. Nun durften die Jungen also auch mal Politiker spielen. Routiniert schlüpften sie in die Rolle der Vollblutpolitiker.

In der Gruppe „Lernen und Arbeit“ wird über die Chancen Älterer auf dem Arbeitsmarkt diskutiert. Edelgard Bulmahn hatte angeregt, dass man ja nicht mit 65 Jahren aufhören müsse zu arbeiten. „Man kann die Unternehmen nicht zwingen, Leute über 50 einzustellen. Unternehmen wollen ja Profit aus den Arbeitskräften schlagen, und mit 50 ist man nicht mehr so fit, wie mit 30“, bemerkte ein junger Mann.

Die Schulen sollten sich stärker an den Bedürfnissen der Unternehmen orientieren, lautet eine Forderung, die immer wieder erhoben wurde. Sylvie Blechschmidt aus dem brandenburgischen Dabendorf sieht schon mit 18 Jahren wenig Chancen für sich auf dem Arbeitsmarkt. „Ich will nach Amerika gehen“, sagt die Gymnasiastin. „Die Politiker leben doch auf einem anderen Stern“, stellte sie der deutschen Politik ein Armutszeugnis aus.

„Die Politik arbeitet sich an Tagesthemen ab und hat keine Visionen. Das gilt für alle Parteien“, meinte der 20-jährige Burkhard Hinz. Er war für die Junge Union da. Deftiger, weil anonymer, stand es an einer Wandzeitung: „Buhlman’sche Bildungspolitik ist die am schlechtesten konzeptionierte, die es jemals gab.“ Auf einem anderen Zettel hieß es: „800 Jugendliche sind auf dem Kongress und fragen sich, warum die Konzepte nicht umgesetzt werden, die entstehen.“ Was das Ganze eigentlich soll, fragten sich auch Jan Thobecke aus Bochum und Florian Seifert aus Regensburg. „Wir debattieren gerade, ob es hier nur um Teilnahme oder wirklich um Partizipation geht.“ Ihr Fazit: „Das ist keine Veranstaltung zum Mitmachen.“

Die technikbezogenen Themen, die vorgegeben worden sind – Erneuerbare Energien, Biotechnologie – interessieren beide nicht so sehr, wie die Frage: Brauchen wir eigentlich Elite-Unis? „Das steht gerade in der Zeitung. Aber bei diesem wichtigen Thema wurden Schüler und Studenten gar nicht gefragt“, sagen sie. Und überhaupt sei nicht transparent, was mit den Resultaten des Kongresses geschehe. „Das wird alles dokumentiert“, versichert Grünen-Politikerin Fischer – und heftet beflissen Kärtchen an eine Pinnwand.

Viele Jugendliche fühlen sich ernst genommen. „Ich finde das schon eine Chance, in einer relativ kleinen Gruppe mit einflussreichen Leuten zu diskutieren“, berichtet Thorsten Schneider. Der Student aus Darmstadt sitzt in einer Arbeitsgruppe mit Ute Voigt (SPD), der Staatssekretärin aus dem Innenministerium. Und die, so berichtet er, habe kein Eingangsreferat in die Köpfe der Teilnehmer geschaufelt, sondern höre nur zu.

„Nein, das ist kein parteipolitisches Brimborium“, sagt Dominik Stürmer. Er ist 26 und hoffnungsvoll, dass „hier eine große Ideensammlung herauskommt.“ Da werde dann eine Denkrichtung dabei sein, „die bisher noch nicht so eingeschlagen hat.“ Was könnte das sein?

Da wird es kleinteilig. Da sind die hunderten von Jugendlichen ganz schnell weg von den großen Entwürfen, von den neuen Themen für die Forschung von morgen, die sich Frau Bulmahn hier erwartet. Ulrike Hagemann, 24, nennt eine Waschmaschine. Ja, die besitze man nicht mehr, sondern man nutze sie nur. Wenn man alle seine Waschpunkte abgearbeitet habe, gebe man sie an den Hersteller, der mehr ein Bereitssteller ist, wieder zurück. „Und der recycelt sie dann“, sagt die Studentin von der TU Dresden nicht ohne Begeisterung.

Thomas Henschel, der Experte aus dem Regieren-von-morgen-Workshop, sieht zwei Gruppen Jugendlicher. Die einen seien voll auf dem Trip, sich zu beteiligen und mitzumischen. Die anderen aber seien skeptisch, bemerkt er. „Demokratie scheint ihnen nicht fähig zu sein, schnelle Lösungen zu erarbeiten.“ Es kann sein, sagt der Dozent der Berliner European School of Government, „dass diese Jugendlichen keine Lust haben, sich auf den oft zeitraubenden Weg der Konsensfindung in der Demokratie einzulassen. Die könnten auch autokratische Systeme befürworten“, warnt er.

Von solchen Ängsten sind die Kids weit entfernt. „Ist es nicht toll“, sagt Thorsten Schneider aus Darmstadt, „hier so viele Leute zu treffen, die wirklich was machen wollen.“