Klassisch technische Panne in Temelin

Tschechiens Behörden sollen Störfall im AKW Temelín erst bestätigt haben, nachdem Mitarbeiter Umweltschützer informierten. EU-Inspektoren untersuchen jetzt den Zwischenfall. Österreich protestiert lautstark, Edmund Stoiber weiht neuen Reaktor ein

AUS MÜNCHENJÖRG SCHALLENBERG

Seinen 65. Störfall bestätigte das tschechische Atomkraftwerk Temelín am späten Montag. Rund 3.000 Liter radioaktiv verseuchtes Wasser seien bereits am Sonntag ausgetreten, berichtete Zdenek Prousa, der Sprecher der tschechischen Atomsicherheitsbehörde SJUB. Bei dem Störfall in Block 2 der Anlage sei kein radioaktives Material in die Umwelt gelangt. Das Wasser aus einem geborstenen Rohr sei in einem Kanal aufgefangen worden, betroffene Bereiche habe man bereits dekontaminiert. Es sollte wohl harmlos klingen, als Prouza noch hinzufügte, es habe sich lediglich um eine „klassische technische Panne“ gehandelt.

Doch das kann man gerade beim AKW Temelín auch anders deuten. Die beiden 1.000-Megawatt-Reaktoren russischer Bauart gelten trotz mehrfacher Nachrüstung als äußerst störanfällig. Momentan sind die Reaktoren wegen Wartungsarbeiten nicht am Netz. Nach dem neuen Zwischenfall forderte der österreichische Umweltminister Josef Pröll schnellstens eine „genaue Untersuchung“. Die tschechischen Behörden kritisierte er wegen ihrer zögerlichen Informationspolitik.

Laut österreichischen Presseberichten wollten die Kraftwerksbetreiber den Störfall offenbar vertuschen. Doch besorgte AKW-Mitarbeiter sollen eine Umweltschutzorganisation informiert haben. Die merkwürdigen Begleitumstände des Vorfalls haben gestern auch die EU alarmiert. Wie die Kommission in Brüssel mitteilte, sollte eine Inspektorengruppe noch am selben Tag nach Tschechien aufbrechen, um das Atomkraftwerk zu untersuchen.

In einem Abkommen mit Österreich hatte Tschechien vereinbart, dass den Behörden in Prag bei einem Zwischenfall bis zu 78 Stunden Zeit bliebe, um eine Warnung auszusprechen. Franko Petri, Pressesprecher von Greenpeace in Österreich, findet diesen Zeitraum absurd: „Bei Radioaktivität geht es oft um Sekunden.“ Entsprechend groß ist die Empörung in Österreich.

In München dagegen, knapp 230 Kilometer von Temelín entfernt, beschwert man sich dagegen vor allem über die spärlichen Informationen aus Berlin. „Eine unerträgliche Situation: Wir bekommen viel zu wenig Informationen vom Bundesumweltministerium“, so Rainer Riedl, Sprecher des Umweltministeriums, gegenüber der taz. Im Hause von Jürgen Trittin wurden diese Vorwürfe allerdings eher belächelt. Am gestrigen Nachmittag informierte Berlin routiniert, dass der Zwischenfall „offensichtlich zu keiner Freisetzung von Radioaktivität außerhalb des AKWs“ geführt habe.

Der bayerischen Staatsregierung dürfte der neuerliche Störfall in Temelín sehr ungelegen kommen, schließlich propagiert Ministerpräsident Edmund Stoiber zurzeit die Rückkehr zum Atomstrom als Antwort auf steigende Ölpreise. Außerdem eröffnet Stoiber heute den umstrittenen Forschungsreaktor FRM II in Garching – allzu laute Kritik an der Atompolitik des Nachbarn käme da ein bisschen schlecht.