„Dann soll man abreißen“

Interview ROLF LAUTENSCHLÄGER
und THIES SCHRÖDER

taz: Herr Akbar, Dessau hat jüngst das Prädikat: „Stadt der unglücklichsten Deutschen“ erhalten. Nervt Sie das Gejammere über den Osten?

Omar Akbar: Das Gejammere ist nicht unbedingt ein ostdeutsches, sondern ein gesamtgesellschaftliches Phänomen.

Es scheint aber, was den Osten angeht, extrem ausgeprägt.

Natürlich hat der Osten, hat Dessau Probleme. Aber die Stadt hat auch spannende Seiten und Initiativen, die signalisieren: Hier wächst und entwickelt sich etwas.

Tatsache aber ist zugleich, dass in Dessau wie im gesamten Osten die Städte sich entvölkern und Abrisse in großem Maßstab stattfinden sollen. Nicht gerade ein Signal für Entwicklung.

Sicher haben sich die Depressionen hier besonders entfaltet angesichts der Deökonomisierung und Deurbanisierung. Es gibt keinen Hype. Aber in der Transformationsphase, in der wir uns befinden, müssen wir üben, da wieder herauszukommen.

Wie weit sind Sie und das Bauhaus mit der Übung?

Wissen Sie, ich bin ein geborener Optimist und versuche, Probleme positiv zu drehen. Vielleicht komme ich deshalb hier gut klar, auch weil ich vergleichbare Situationen auf dieser Welt kenne.

Welche?

Ich habe in Ägypten in einem Sanierungsprojekt gearbeitet. Ich war in Bagdad und in Westafrika. Dessau und die neuen Ländern sind natürlich anders, aber meine Haltung zu den Problemen hat sich nicht verändert.

Das Bauhaus wendet sich jetzt mit einer IBA – der Internationalen Bauausstellung Sachsen-Anhalt 2010 – den schwierigen Themen „Stadtumbau Ost“ zu. Nach der Berliner IBA in den 80er-Jahren zur Rekonstruktion der Stadt und der IBA-Emscherpark in den 90er-Jahren zum Wandel großer Industriebrachen in NRW wird diese IBA in der Öffentlichkeit mit „Schrumpfung“ und „Rückbau“ identifiziert. Muss man sich die Architekturschule Bauhaus als Ideengeber für den Abriss vorstellen?

Nein. Es geht nicht um die Frage, wie reißt man Häuser ab. Es geht um die Frage einer anderen Form von Gestaltung. Das hat mit Stadt zu tun. In ganz Europa haben wir das Phänomen einer Transformation von Stadt, die gleichzeitig etwas mit Schrumpfung zu tun hat. Wachstum, wie wir ihn kannten, existiert nicht mehr.

Die Bundesregierung verfolgt mit dem Programm Stadtumbau Ost und einer Summe von 1,25 Milliarden Euro – zu großen Teilen für Abrisse – eine ähnliche Frage. Warum die IBA hier und jetzt?

Einmal liegt das Thema in Ostdeutschland auf der Hand. Viele Orte leiden unter dem Rückbauphänomen, auch Dessau, auch Westdeutschland. Zugleich wurde die Debatte lange Jahre verdrängt. Der Diskurs ist jetzt offen und das Terrain neu. Es existieren relativ reduzierte Erfahrungen damit. Wir wollen dafür Lösungsansätze finden.

Eine Million Wohnungen stehen im Osten leer. 25 Prozent der Bauten sollen weg. Städte und Kommunen laufen regelrecht leer. Jetzt kommt das Bauhaus und macht zu allem Übel noch kluge Pläne zur Schrumpfung. Ist diese programmatische Ausrichtung nicht zwiespältig?

Natürlich ist der Begriff Schrumpfung stigmatisiert. Früher hat doch jeder Minister gesagt: „Ich bin kein Abrissminister.“ Ich aber habe schon 1993 gesagt, dass man – egal wie viel man investiert – den tendenziellen Verfall von Großsiedlungen durch Verschönern und so genannte Reurbanisierung nicht unbedingt aufhalten kann. Jetzt, wo das Thema nicht mehr zu verdrängen ist, wo Konzepte gefragt sind, sagt das Bauhaus: „Wir mischen uns ein. Wir haben die Entwicklung beobachtet.“

Teilen Sie die Abrissszenarien?

Ich habe damit keine moralische Bedenken. Wenn man an bestimmten Orten abreißen muss, soll man abreißen.

Wollen Sie als Abrissdirektor in die Bauhaus-Geschichte eingehen?

Natürlich nicht. Denn das andere Thema ist, wie man gemeinsam die künftige Stadt gestalten kann. Wie wird sie aussehen, was wird das für ein Stadttyp? Diese Entwicklung muss man sich bewusst machen.

Trotzdem: „Politisch steht Abriss für Misserfolg“, urteilte einmal das Deutsche Institut für Urbanistik. Warum gibt sich die IBA nicht ein anderes Image geben?

Wir werden damit zu tun haben, nicht neue Häuschen zu bauen, sondern der Frage nachgehen, wie wir mit den Errungenschaften der Stadt, der Zersiedelung, den neuen sozialen Lebensperspektiven und dem Abbau von Population umgehen. Das alles hat Auswirkungen auf jene Stadtstruktur, die wir als europäische Stadt hochgelobt haben. Die existriert aber nicht nicht mehr. Wir müssen über eine andere Form der Urbanität nachdenken.

Wie sieht das konkret aus?

Wir haben frühzeitig versucht, neuartige Instrumente zu entwickeln. Etwa den Gedanken, wo Leerstand existiert, straßenweise eine Art „Winterfestmachung“ von Bauten zu probieren und die unbewohnte neben der bewohnten Wirklichkeit zu akzeptieren? Dafür wurden wir geprügelt. Später erwog die Landesregierung, den gesamten Stadtumbau Ost organisatorisch bündelt. Das haben wir nun als Bauhaus übernommen, und wir versuchen mit den Städten zu diskutieren, ob die dramatischen Veränderungen zu einem anderen Verhältnis zu unseren Ressourcen führen. Welche Ressourcen haben Dessau, Wittenberg, Aschersleben, Halle? Was kann Dessau sein, wie kann es sich in der Zukuft bezeichnen? Ist Dessau eine Wissensstadt? Es muss eine Profilierung stattfinden.

Welche Profilierungen schweben Ihnen genau vor?

Wir haben beispielsweise in der Lutherstadt Wittenberg Gespräche geführt. Das kann die Stadt des religiösen Dialogs werden, ein Ort, wo aufgeklärte islamische, christliche und jüdischen Gruppen miteinander sprechen. Die ehemalige Braunkohlestadt Gräfenhainichen hat das Thema der regenerativen Energien für sich entdeckt. Es gibt weitere Beispiele. Nun könnten jeweils den Städten entsprechende Einrichtungen geschafften werden.

Das klingt nach Marketingstrategien und Krisenmanagement. Ist das die Aufgabe der IBA Stadtumbau?

Natürlich nicht nur. Die Landesentwicklungsgesellschaft „Saleg“ und wir haben uns vorgenommen, bis 2010 konkrete Projekte, baulich, räumlich gestalterisch und auf der Ebene der Planung zu entwickeln. Es soll ein Städtenetz aller Kommunen geschaffen werden. Außerdem wählen wir besondere IBA-Projekte aus. Zugleich wird die Entwicklung in einen internationalen Diskurs gestellt. Bisher haben sich 15 Kommunen beworben, Dessau und Aschersleben haben wir bereits im Frühjahr ausgewählt. Haben die Kommunen konkrete Ideen, dann sprechen wir darüber, wie das Konzept entwickelt werden kann. Wir hoffen, dass wir im Herbst schon 10 IBA-Städte haben und weitere hinzukommen. Wir werden sehen, ob es am Ende 20 sein werden.

Wer bezahlt die IBA-Maßnahmen?

Die Landesregierung und die Kommunen selbst. Doch welche Summen das sein werden, kann ich noch nicht sagen. Die konkreten Projekte sind unterschiedlich einzuschätzen.

Wie wichtig ist der Faktor Arbeit in der IBA. In der fehlenden Arbeit liegt ja die Ursache vieler Folgeprobleme.

Dass die IBA in ökonomische Kreisläufe eingreifen wird, kann ich nur hoffen.

Ist das nicht das Thema im Osten?

Es wäre schön, aber schwören würde ich nicht, dass wir das auch noch drehen.

Muss das gleichzeitig mit der Stadtgestaltung nicht die wichtigste Frage der IBA Stadtumbau sein?

Die IBA soll auf keinen Fall schöner Schein sein. Bei der Profilierung wollen wir schon an die Substanz. Daraus könnte sich eine Kette entwicklen, die eine wirtschaftliche Ausrichtung fördert. Die Profilierung zwingt die Kommunen, auf das Wesentliche zu kommen, das neu zu definieren und nach vorn zu gehen.

Könnte das Wesentliche auch sein: „Alles weg?“

„Alles weg“ haben Sie gesagt. In Zukunft wird die Konzentration das Thema sein. Einige Kommunen könnten dabei dem Lauf der Geschichte übergeben werden. Für Dessau würde ich mir wünschen, nicht auf Quantität, sondern auf Qualität der Entwicklung zu setzen. Wir haben das Umweltbundesamt, das Bauhaus, die Hochschule Anhalt, wir haben die Konzentration der klassischen Moderne, die Kulturlandschaft. Ich würde diese Strukturen bewahren und ausbauen, aber zugleich viel wegnehmen. Es gibt Prognosen für die Stadt, die bei langfristig 65.000 Einwohnern liegen. Ich könnte mir eine Stadt mir 50.000 Menschen vorstellen, die auf ihre Qualitäten baut und die Zersiedelung wegnimmt. Wenn eine Stadt beispielweise eine Hochschule hat, kommt es nicht darauf an, ob hier hunderte studieren, sondern ob der Standard der Hochschule einem internationalen Standard entspricht.

Also „Weniger ist mehr“ als internationale Botschaft?

Die Thematik der Schrumpfung ist kein ostdeutsches Phänomen. Sie ist auch eine Frage in Westdeutschland, Italien und Osteuropa. Würde es uns als Institution, die für die Gestaltung steht, gelingen, mit so einem Phänomen produktiv umzugehen, stünden wir automatisch in einem internationalen Diskurs.

Abriss ist die Wahl der Stunde. Was passiert, wenn die Progosen schiefgehen und die Schrumpfungsdemoskopen Unrecht behalten. Hinterfragen Sie diese Schrumpfungsprognosen?

Ich meine, dass Stadtplanung permanent evaluiert werden muss. Masterpläne mit 10 Jahren Laufzeit sind obsolet.

Was bedeutet die IBA Stadtumbau für das Bauhaus. Wird seine Rolle eine andere?

Ich wünsche mir, dass das traditionsreiche Haus erneut bekannt wird als Thinktank, der sich mit aktuellen Dingen auseinandersetzt.