berliner szenen Samstagsnachmittags

Im Eurocity

„Wir fahr’n grad hinter Lichtenberg lang. Plattenbauten noch und noch. Eigentlich wollte ich Vati sprechen. Wat, der schläft noch? Mann, es ist zwölfe. Hunger haste? Jeh zu Oma und iss da was. Ja, war schön, wir haben auf’m Tisch jetanzt. Aber sags nich Vati. Wir müssen oben rumfahrn, über Spandau jeht nicht. In Berlin is Chaos. Is jut, mach ick, bis nachher.“ Die Blonde, Anfang vierzig, steckt ihr Handy in die Umhängetasche zurück.

„Uwe schläft noch. Musste dir ma vorstellen“, sagt sie zu der Brünetten, die ihr gegenüber sitzt. „Biste eene Nacht nich zu Hause und schon tanzen die Mäuse.“ – „Ick ruf lieber jarnich erst an, soll der ma selber klarkommen mit die Gören.“ Beide fangen gleichzeitig an, eine Melodie zu summen, bis sie vor Lachen nicht mehr weiterkönnen. „Hast du auch grad dran gedacht?“ – „Das kam doch, als ich die Blinde jespielt hab und mich zum Klo hab führen lassen von dem Typen, der im Licht echt Scheiße aussah.“ – „Na ja, war aber schön.“ Die Brünette zündet sich eine Zigarette an. Die Blonde wühlt blind in ihrer Tasche und holt eine durchsichtige Schraubflasche in Form eines Spermas mit spitz zulaufendem Schwanz heraus. „Passt genau ein Kümmerling rein“, sagt die Blonde und wedelt mit dem Sperma vor der Nase ihrer Freundin herum. „Werde ich heute Abend gemütlich einen trinken.“ Das Sperma verschwindet wieder in der Tasche. Stattdessen holt sie ein schwarz-weißes Sitzkissen mit der Aufschrift MENSCH heraus. „Kann man sogar waschen.“ Die Brünette hat das Interesse verloren und schaut aus dem Fenster. Der Zug rauscht an einem Haltepunkt vorbei. „Schönfließ, woher kenn ich Schönfließ?“ Die Blonde sagt: „Wahrscheinlich aus einem deiner früheren Leben.“

ANNETT GRÖSCHNER